Die Mutter Jesu
Eine Frau mit Namen Maria
Jacques Duquesne möchte mit seinem Buch behutsam aufklären. Das heißt, er möchte den Gläubigen nicht ihren Glauben nehmen, aber er will an den starren Dogmen der Kirche rütteln und die Gottesmutter vom heiligen Staub der Kirchengeschichte befreien.
8. April 2017, 21:58
Zu Anfang seines Buches bemerkt Jacques Duquesne zu Recht, dass Maria in den vier Evangelien selten genannt und über sie wenig berichtet wird. Duquesne gibt sodann die Bibel-Stellen an, in denen Maria eine Rolle spielt - und er vergisst eine. Nämlich die Szene der "Hochzeit in Kana" im Johannes-Evangelium. Immerhin verwandelt hier Jesus auf Bitten seiner Mutter Wasser in Wein - ein Wunder, das heute noch viele Menschen hoch erfreut, egal ob sie gläubig sind oder nicht.
In ihr Schicksal freudig ergeben
Journalistisch unbeschwert verfährt der Autor auch bei der Beschreibung der Verkündigung Marias durch den Erzengel Gabriel im Lukas-Evangelium.
Und diese junge Jüdin vernimmt als erste die Ankündigung des für die Menschheitsgeschichte entscheidenden Ereignisses. Es fordert ihre uneingeschränkte Unterstützung. Versteht sie dies alles sofort? Eine Frage muss hier gestellt werden: Hat sich der Evangelist Lukas nicht einige Freiheiten herausgenommen?
Mit "Freiheiten" meint Duquesne das geschilderte Verhalten Marias, die sich einerseits in ihr Schicksal freudig und ergeben fügt, den Sohn Gottes zu gebären, aber zugleich anscheinend öfters nicht weiß, dass ihr Sohn im Namen des göttlichen Vaters spricht und agiert.
Erster Feminist Jesus
Duquesne zieht es vor allem zu einem sehr heiklen Thema: die Jungfräulichkeit Marias und die so genannte "unbefleckte Empfängnis". Da bei diesem Problemfeld nicht nur einfache Gläubige die Stirne runzeln, sondern auch Kirchengelehrte seit Jahrhunderten mit ihren Ansichten aneinander geraten, ist bekannt. Und wirklich Neues liefert Duquesne auch nicht.
Journalistisch freizügig verfährt Duquesne bei der Schilderung des Verhältnisses Marias zu ihrem Verlobten, dem Zimmermann Joseph. Freilich, einfach mag es für ihn nicht gewesen sein, an Marias Empfängnis von Gottes Sohn zu glauben. Aber wie da der Autor Josephs Verhalten durch die Worte des Evangelisten Matthäus interpretiert, ist schon recht eigenwillig.
Überhaupt bringt der Evangelist unserem Zimmermann viel Sympathie entgegen. Er weist ihm eine wichtige Rolle zu, vielleicht weil er kein großer Feminist war.
Da kann man nur eines sagen: Tausend Euro demjenigen Kühnen, der in den Evangelien nur einen einzigen Feministen ausfindig macht. Und wenn man schon mit heutigen Begriffen an biblische Zeiten herangeht, dann müsste man Jesus als "Feministen" bezeichnen, da er tatsächlich durch seine Reden und Gebote die Stellung der Frau in der jüdischen Gemeinde erheblich stärkte.
Geschichte der Marienverehrung
Duquesnes Buch "Maria. Die Mutter Jesu" ist in zwei Teile geteilt. Der erste behandelt die Darstellungen Marias in den Evangelien und in denjenigen Texten, die nicht in den Bibel-Kanon aufgenommen wurden. Im zweiten Teil geht es um die Marienverehrung und um ihre Stellung als Gottesmutter. Hier gelingt es Jacques Duquesne mit journalistischer Verve, die beginnende Marienverehrung seit dem 5. Jahrhundert bis in unsere Tage anschaulich zu beschreiben.
Bei Duquesnes Schilderung der Marienverehrung wird auch klar, dass heutige, so genannte "Glaubenswahrheiten" wie Marias Jungfräulichkeit, die "unbefleckte Empfängnis" und Maria als "Mutter der Kirche" alte Glaubensvorstellungen sind, die dann im späten 19. und im 20. Jahrhundert durch kirchliche und päpstliche Autorität festgeschrieben wurden.
Bedürfnis nach Schutz
Man darf sich zu Recht fragen, weswegen Maria seit über 1.500 Jahren eine so große Anziehung auf gläubige Menschen ausübt? Und genau auf diese Frage gibt Jacques Duquesne eine sehr einleuchtende Antwort: Es geht um das Bedürfnis der Menschen nach Schutz und nach einer Beschützerin.
Das Mittelalter hatte nach einer Anwältin verlangt, die die Menschen vor Gottes Gericht verteidigen sollte. Das 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts fürchteten sich weniger vor diesem himmlischen Gericht. Sie suchten nach einer Helferin, die sie auf Erden schützen, die Bomben, Geschoße und Krankheiten fernhalten sollte. Und sie suchten eine Trösterin in Leid und Unglück.
In und durch diese Funktionen ist Maria Person geworden. Maria, die Mutter Jesu, ist das lebendige Symbol für die Suche der Menschen nach Schutz und Frieden.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
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Buch-Tipp
Jacques Duquesne, "Eine Frau mit Namen Maria", aus dem Französischen übersetzt von Ingrid Ickler, Deutsche Verlags-Anstalt, ISBN 2080210521