Der Satiriker Istvan Eörsi und andere Denkwürdigkeiten

Gedankenbisse

Der Schriftsteller, Übersetzer und fröhlich-bissige Ideologenfeind Istvan Eörsi gehörte zu den bemerkenswertesten Intellektuellen Ungarns des 20. Jahrhunderts - weil er Charakter umso beharrlicher behielt, je besser er verkäuflich gewesen wäre.

István Eörsi, vor knapp einem Jahr in seiner Heimatstadt Budapest verstorben, war einer der widerborstigsten, eigenwilligsten, aufmüpfigsten unter den ungarischen Schriftstellern, die anno Revolution, 1956, eine nicht unwesentliche Rolle spielten. Und sei es als verjagtes, bestochenes, totgeschwiegenes, eingesperrtes oder sonst wie zum Ruhekissen umgearbeitetes Gewissen.

Keine Kompromisse

István Eörsi war eingesperrt, fast vier Jahre lang, im wohl grauslichsten Gefängnis Ungarns, aber er war, als einer von wenigen, keine Sekunde lang bereit, mit den neuen Machthabern, die sich gerade auf ein gemütliches Rollenspiel zwischen Opfer- und Täterklischee einzurichten begannen, irgendwelche Kompromisse zu schließen, für sich irgendeinen "Sonderfrieden" oder Ähnliches auszuhandeln.

Für Eörsi blieb auch der Erbe der blutigen Sowjetintervention im Herbst 1956, János Kádár, ein Massenmörder, der nach den Revolutionstagen noch fünf Jahre lang Hunderte Todesurteile verhängen und auch vollstrecken ließ und dennoch als sozusagen gemütlicher Protagonist des "Gulaschkommunismus" in der "fröhlichsten Baracke des Ostblocks" gelten konnte.

Verdrängung und Verleugnung

Eörsi, aus alter Budapester Familie stammend und somit auch von jüdischer Herkunft, wusste genau, was hinter dieser pragmatischen Quasi-Amnestie für Kádár und seine Kumpane steckte: das schlechte Gewissen der opportunistischen Mehrheiten, und zwar der stets anpassungswilligen und politisch deutungsfrohen Mehrheiten beiderseits des Eisernen Vorhangs - wie sie sich im Übrigen gerade in Österreich, dem durch eine historisch-barocke Freundfeindschaft wie auch durch die jüngste Geschichte verbundenen Nachbarn, zuhauf fanden.

Wurde doch dort und hier Ähnliches, ja, sogar Gleiches geflissentlich und, bis auf ein paar moralische Kollateralschäden, sozusagen erfolgreich verdrängt, verleugnet, abgetan. Und gehörte es doch gerade in der Intelligentia Österreichs (und Deutschlands) nachgerade zum guten Ton, die ungarische Tragödie zu relativieren, ja, die weltpolitische Gelegenheit nutzend, mit der exakt gleichzeitigen Suez-Krise, einer darob verständlichen Gereiztheit der sowjetisch Führung in Zusammenhang zu bringen und damit anzudeuten, dass der ungarische Revolutionsversuch vermutlich, ein bisschen CIA-Agenda dazuvermutet, im Grunde wirklich das gewesen wäre, was es in östlichem Sprachgebrauch (und auch in dem des westlichen Fortschritts-Konservativismus) jahrzehntelang bleiben sollte: eine von außen gelenkte "Konterrevolution".

"Peinliche" Satiren

Es waren idealistische, links gebliebene Intellektuelle wie Eörsi (dieser noch dazu Schüler und Biograf des umstrittenen marxistischen Philosophen Georg Lukács), die sich an der Dialektik der historischen Prozesse ebenso wenig irre machen ließen wie an der Relativität aller Moral - und der Notwendigkeit öffentlichen Auftretens dagegen. Und die auch das freundliche Angebot der Kádár-Leute - darunter alte "Sechsundfünfziger", die eben in die gemütliche Opportunität übergewechselt waren -, doch bei Nichtgefallen bitte vielmals das Land zu verlassen, Papiere würden gern beigestellt - die auch all diese Angebote ignorierten.

Oder aber, wie Istvàn Eörsi, eben über diesen unausweichlich peinlichen Umstand Satiren schrieben ("Ich fing eine Fliege beim Minister"), die ihnen zwar geflüsterten (und erst nach 1989 lautstarken) Ruhm, aber auch die unvermeidliche Reaktion reaktionärer Regimes eintrugen: Witzfiguren pflegen sich nicht daran zu stoßen, dass sie's sind; und je blutiger der Witz, desto noch weniger.

Autobiografie mit Tarnkappe

Seine Selbstbiografie, die er - trotz fortschreitender Leukämie - in seinem letzten Lebensjahr noch fertig stellen konnte, nannte er "Im geschlossenen Raum". Der darin kenntnisreich porträtierte Schriftsteller namens "Borsi" hatte nämlich ein Theaterstück mit diesem Titel geschrieben, das infolgedessen in dem ansonsten durchaus wohnlichen Land namens Ungarn nicht aufgeführt werden durfte.

Irgendwie hatte sich unter den Witzfiguren herumgesprochen, dass dieser Borsi mit dem "geschlossenen Raum" nicht nur das Gefängnis meinte, in dem er nämlich gesessen war. Dass er demnach über etwas Witze mache, worüber man eben keine macht (ohne Witz!): über die kostbare Freiheit, die in einem solchen geschlossenen Raum besonders gut geschützt und bewahrt wird.

Zusammen mit dem Gewissen, übrigens.

Hör-Tipp
Literatur am Feiertag, Mittwoch, 1. November 2006, 14:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
István Eorsi, "Im geschlossenen Raum", aus dem Ungarischen übersetzt von Heinrich Eisterer, Suhrkamp Verlag, ISBN 3518417495

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