Vielfältige Spezialisierungen
Die Einzigartigkeit der Lemuren
Lemuren kommen nur auf Madagaskar vor. Die ständig fortschreitende Umweltzerstörung bedroht diese einzigartigen Halbaffen in ihrer Existenz. Dank moderner Technologie entdecken Forscher laufend neue Arten, die es zu schützen gilt.
8. April 2017, 21:58
Madagaskar wird wegen seiner Einzigartigkeit oft der achte Kontinent genannt: Mehr als Dreiviertel der madegasischen Flora und Fauna findet man nirgendwo anders auf der Welt. Das ist ein Grund, warum sich so viele Forscher für die Lemuren interessieren: Die ständig fortschreitende Umweltzerstörung bedroht diese einzigartigen Halbaffen in ihrer Existenz. Dank moderner Technologie entdecken Forscher laufend neue Arten, die es zu schützen gilt.
Das Rätsel der Herkunft
Unbeantwortet ist die Frage, wie Lemuren auf die Insel Madagaskar kamen. Erdgeschichtlich wurde die Insel vor 153 Millionen Jahren von Afrika und vor 88 Millionen Jahren von Indien getrennt. Ob die Lemuren aus dem Süden oder aus dem Norden stammen, kann nur spekulativ beantwortet werden. Einig sind sich die Forscher darüber, dass es sich um eine kleine Gründerpopulation gehandelt haben muss. Wieviele Tiere es waren: Darüber liegen nicht einmal Schätzungen vor.
Es gibt rund 70 Lemuren-Arten. Bereits vor 500 Jahren ist die Größte ausgestorben: Diese Lemuren erreichten die Größe eines Gorilla. Die kleinsten Lemuren - man nennt sie Mauslemuren - sind gerade so groß wie ein schmächtiger Hamster. Laut der amerikanischen Primatologin und Lemurenspezialistin Patricia Wright ist die geografische Isolation verantwortlich, dass die Lemuren so einzigartige Merkmale aufweisen.
Der goldene Bambuslemur
Bambuslemuren ernähren sich zu 90 Prozent von Bambus. Dies erfordert eine hohe Spezialisierung, denn Bambus ist schwer zu fressen und schwer verdaulich. Die Blätter enthalten Silikate, und der Bambusstamm ist hart und holzig.
Beim großen Bambuslemur sind die Eck- und die vorderen Backenzähne so ausgebildet, dass er diese Stämme knacken kann, um an das Innere zu kommen. Das Tier besitzt also einen hochspezialisierten Fressapparat und Verdauungstrakt, der es ihm erlaubt Giftstoffe aufzunehmen, die Menschen nicht vertragen würden. Der goldene Bambuslemur kann zyanidhältige Bambussprossen fressen.
Faszination Evolution
Die Faszination, die von Lemuren ausgeht, hängt wesentlich mit ihrer Evolutionsgeschichte zusammen. Sie sind dem gemeinsamen Vorfahren aller Primaten - also auch dem des Menschen - am nächsten. An Lemuren lässt sich ablesen, was die Minimalausstattung eines Primaten ausmacht und welche komplexeren Eigenschaften bzw. Fähigkeiten sich später entwickelt haben. Lemuren verlassen sich beispielsweise mehr auf den Geruch als auf das Sehen, wie es höher entwickelte Affen tun. Sie sind auch mit ihren Händen weniger geschickt als Meerkatzen oder Schimpansen.
Lemuren leben im Matriachat
In den madegasischen Halbaffen-Gruppen dominieren die Weibchen. Die einzige Ausnahme dürfte der große Bambuslemur sein. Die Entdeckung der matriachalen Verhältnisse ist der Britin Alison Jolly von der Universität Winchester zu verdanken. Nach ihr wurde ein Mausmaki nach ihr benannt: Microcebus jollyae hat rötlich braunes Fell, eine weiße Zeichnung um die Nase und einen grauen Bauch.
Bonobos, die so genannten Zwerg-Schimpansen, und Lemuren sind die einzigen nicht-menschlichen Primaten, wo das Matriachat herrscht. Die Gründe, warum gerade bei Lemuren die Weibchen dominant sind, sind unbekannt. Patricia Wright glaubt, es könnte mit den klimatischen Besonderheiten von Madagaskar zu tun haben.
"Es gibt mächtige Wirbelstürme, die alle Früchte abreißen und Bäume fällen. Es ist so, als wäre ein Rasenmäher losgelassen. Laut den vorliegenden Wetterdaten passiert das etwa alle sechs bis sieben Jahre. Es gibt noch andere Probleme wie etwa Trockenheit oder zu viel Regen. Es ist also ein interessantes und unberechenbares Klima", meint Wright.
Die einzige Konstante ist eine ständige Futterknappheit, da der Boden unter Nährstoffarmut leidet. Daher wird es in Madagaskar nie den Futterreichtum der Regen- und Trockenwälder geben, wie man ihn etwa in Zentralafrika oder im Amazonasbecken oder in Asien findet. Das könnte also einer der Gründe für das Matriachat sein: Damit das Weibchen genug Fett ansetzt, um gesunde Junge zur Welt zu bringen, muss es beim Fressen den Vortritt haben.
Mehr zur Floran und Fauna Madagasgars in oe1.ORF.at und zu Inselspezien in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 30. Oktober 2006, 19:05 Uhr
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