Bürgerlichkeit und Abgrund

Schauspieler und Dichter Ferdinand Raimund

An dem Dichter Ferdinand Raimund klebt immer noch viel Zuckerbäckerisches und eine Menge falsche Biedermeierlichkeit. Dabei war der zornige, zuweilen von poetischen Melancholien Gelähmte ein grandioser Charakterkomiker.

Die allseits bezaubernde Therese Krones, 25 Jahre alt, seit zwei Jahren der weibliche Star des Theaters in der Leopoldstadt in Wien, hatte bei der Uraufführung des Romantischen Original-Zaubermärchens "Das Mädchen aus der Feenwelt" (Untertitel: "Der Bauer als Millionär") die Jugend ganz besonders hinreißend dargestellt - und vor allem gesungen: Die poetische Szene ihres Abschieds von dem Bauern Wurzel machte sie - und auch ihren Bühnenpartner - über Nacht berühmt: Ferdinand Raimund, elf Jahre älter als die Krones, genialischer Komiker und derart populär, dass er seit Jahren schon einer ganzen Schar von Raimund-Imitatoren unfreiwillig eine auskömmliche Existenz bot, hatte sich, nachdem er sich zu Weihnachten 1823 seine eigene Benefizvorstellung nicht verpatzen lassen wollte und mit einer "Parodistischen Zauberposse" à la mode als Dichter quasi eingesprungen war, jetzt, drei Jahre später, erstmals an einer eigenen Fabel und an eigener Poesie versucht.

Das Mädchen kam immer noch aus der Feenwelt, die Bühnenprospekte entwarf Raimund immer noch mit der ihm eigenen magischen Naturbegeisterung, aber der Bauer war ein echter Charakter, der Stoff war dem dichtenden Komiker über allen Witz, auch über alle Rührseligkeit hinaus gleichsam unter der Hand ins Poetische gewachsen, und die Melodie zum "Brüderlein fein"-Duett pfiff er dem Kapellmeister Drechsler so überzeugend vor, dass der sie sofort in Noten setzte. Die einfache, volksliedhafte Phrase, zusammen mit der allegorischen Idee, die, anders als sonst so oft bei Raimund, sich nicht krampfhaft selbst in Szene setzen muss, sondern tatsächlich und ganz selbstverständlich darüber schwebt, machten große Karriere: zuerst in Wien, wo binnen kurzer Zeit über Raimunds erster ganz eigener dramatischer Arbeit ein Ballett, eine Parodie und ein Singspiel herauskamen (viel später haben Leo Fall und Johann Strauß Raimunds Abschieds-Szenarium samt Musik übernommen), dann als des Dichters Beitrag zum Bestand der Weltliteratur.

Die Parabel vom misanthropischen Rappelkopf

Nur ein Geniestreich ist dem gefeierten Komiker Raimund (der ob dieses Publikumsjubels erbost war, ja, in Angstzustände, eine Art nach innen gekehrten Jähzorns verfallen konnte) - nur ein Geniestreich ist ihm als Dramatiker noch gelungen; auf dem Gebiet des Tragikomischen, wie es seinem Naturell entsprach: die Parabel vom misanthropischen Rappelkopf, der von der Natur persönlich, in Gestalt des "Alpenkönigs", in den Tempel der Vernunft und der Erkenntnis geleitet wird... aber so weit sind wir noch nicht.

Die Malaise mit dem Grafen

Vorerst gibt die gefeierte Demoiselle Krones beim groß inszenierten Empfang in der Stadtwohnung ihres Liebhabers, des polnischen Grafen Severin Jaroszynski, zum Entzücken der Gesellschaft das Lied der Jugend zum Besten. Jaroszynski hatte für dieses Fest in der Belle Etage des alten Trattnerhofes anlässlich seines, so sagte er, geschäftlich bedingten Abschieds aus Wien keine Kosten und Mühen gescheut.

Es wurde ein Abschied ganz anderer Art: Noch während des Gesanges seiner jungen Gefährtin im Salon erschien die Polizei und nahm den - wie sich herausstellte: falschen - Grafen wegen Raubmordes fest.

Die Societé fiel aus allen Wolken, die Krones fiel in Ohnmacht, Jaroszynski gestand in seiner Verblüffung über die hiesige Polizei alles und blieb bis zu seiner Hinrichtung Ende August 1827 Stadtgespräch.

Benefizien für die Partnerin

Ferdinand Raimund gab seiner Bühnenpartnerin (der Tratsch, dass sie's auch sonst gewesen sei, war schon damals unbeweisbar) jede erdenkliche Unterstützung, schrieb, inszenierte, spielte für sie Benefizien - und verhalf ihr tatsächlich zu neuer Publikumsgunst und dazu, ihre schon zuvor allzu oft hervorgebrochene Melancholie zu überwinden. Drei Jahre später erlag Therese Krones ihrer durchaus organischen, wenngleich psychisch bedingten Todeskrankheit.

Zerrbild eines Zuckerbäckerpoeten

Viel besser als mit dieser Geschichte lässt sich das Nebeneinander von Bürgerlichkeit und Abgrund, lässt sich die Abgründigkeit des Biedermeier (und seiner Protagonisten) wohl kaum beschreiben. Dass Raimund, der zornige, zuweilen von poetischen Melancholien gelähmte Melancholiker, der grandiose Charakterkomiker von artistischer Brillanz, der sich allen Ernstes für einen verhinderten, von Neidern verfolgten Tragöden hielt -; dass er, der manchmal berserkerhafte Naturfex (seine bis zu 20-stündigen Berg- und Landpartien waren bei seinen - wenigen - Freunden gefürchtet) und überängstliche Zivilreisende (in Gasthäusern schlief er nur hinter sorgsam verrammelter Tür mit griffbereiter Pistole); dass dieser Ferdinand Raimund, der als jugendlicher Vollwaise auszog, um das Theater oder besser gleich die ganze Schöne Kunst zu erobern und der als kerngesunder, wohlhabender Villenbesitzer von 46 Jahren Selbstmord beging, weil seine neurotischen Phantasien ihm zum wiederholten Mal einen qualvollen Tod an Tollwut vorgaukelten; der sich mit seinem schwachen Terzerol eine Kugel so durch den Gaumen ins Gehirn schoss, dass sie dort stecken blieb und ihn eine Woche lang, halb gelähmt, bei vollem Bewusstsein verbluten ließ; dass dieser genialische, depressive, schwer neurotische, besessene, dennoch zartester Menschenliebe und uferloser Naturschwärmerei fähige Ferdinand Raimund selbst dieses (ursprünglich zum Spott so genannte) Biedermeier verkörpern könnte, ist evident.

Er hat, als Dichter (der er zweifellos war), acht Bühnenstücke, davon zweieinhalb intuitive Meisterwerke und zwei, drei weltliterarische Szenen hinterlassen, daneben zornige Menschenhass-Gedichte, etliche schwärmerische Friedhofslyrik, wunderbare, hingebungsvolle Liebesbriefe an seine Toni und einigen missverständlichen geistigen Zierrat, aus dem im Lauf der Jahrzehnte das heute noch gängige Zerrbild des liebenswürdigen, ein bisserl patscherten Zuckerbäckerpoeten gebastelt worden ist.

Ferdinand Raimund floh sein kurzes Leben lang vor den Abgründen seiner Zeit und seiner Welt in den eigenen Zwiespalt - und ist daran und darin zu Grunde gegangen. Als tödlich biedermeierlicher Rappelkopf.

Hör-Tipp
Literatur am Feiertag, Donnerstag, 26. Oktober 2006, 14:05 Uhr

Download-Tipp
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Ferdinand Raimund