Kroatische Eindrücke zu alten Rhetoriken und neuen Ziele
Freiheit, Unabhängigkeit und Neutralität
Aus der von Tito geforderten "Brüderlichkeit und Einheit" ist ein zersplittertes Jugoslawien mit einzelnen unabhängigen Staaten entstanden, die darum wetteifern, wer als Erster in eine Organisation aufgenommen wird, so auch Kroatiens Premier Ivo Sanader.
8. April 2017, 21:58
Es ist noch nicht lange her, seit der kroatische Premier Ivo Sanader die amerikanische Regierung um Unterstützung für einen Beitritt zur NATO gebeten hat. Und dies, obwohl sich die kroatische Bevölkerung nach jüngsten Umfragen gegen einen Beitritt geäußert hat, also lieber außerhalb von Blöcken - wie ihr Vorbild Österreich - sein will.
Meine erste Begegnung mit Österreich
Als der österreichische Staatsvertrag unterzeichnet wurde, war ich sieben Jahre jung und gerade auf einer zweiwöchigen Reise in einem kleinen Ort neben Zeljezno. Heute weiß ich, dass es 1955 auch um Eisenstadt ging. Es war meine erste Auslandsreise. Sie wurde organisiert, um die burgenländischen Kroaten kennen zu lernen. Einen Großteil meiner Reise verbrachte ich in einer Küche, in der ich von einer älteren österreichischen Köchin meine ersten deutschen Worte lernte.
Bei einem Ausflug nach Wien ist mir von damals ein unvergessliches Bild geblieben. Wir, die Kinder aus Kroatien, haben das Schloss Schönbrunn besucht. Als wir durch den Haupttrakt durchgingen, wurden wir von dem vor uns liegenden Park und dem Blick auf die Gloriette verzaubert. Keine spätere Sehenswürdigkeit hat bei mir so einen tiefen Eindruck hinterlassen.
Das sozialistische Jugoslawien
Ihrer Reisefreiheit wegen waren die Jugoslawen immer sehr stolz. Im Unterschied zu anderen "sozialistischen Ländern genossen die Bürger der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien nämlich fast die ungeschränkte Erlaubnis, "kapitalistische Lager zu besuchen. Ebenso stolz waren wir damals auf unsere "Unabhängigkeit von den Großmächten der "sowjetischen Russen, aber auch von den "westlichen Kapitalisten".
Die Welt teilte sich in zwei militärischen Blöcke: den Warschauer Pakt und die NATO, und wir Jugoslawen blieben unter der Führung unseres "Visionärs" Marschall Tito frei von solchen Eingliederungen. Tito war gemeinsam mit dem indischen Präsidenten Nehru und dem ägyptischen Oberhaupt Nasser einer der Gründer der so genannten Dritten-Welt-Bewegung unabhängiger Staaten. "Wir leben in einer Zeit, in der jedes Volk und jeder Staat über das Schicksal der anderen Völker und Staaten, unabhängig der geografischen Entfernung, denken muss, sagte Tito damals, und wir glaubten daran.
Aber mehr noch glaubten wir - zumindest schien es so - an das "Bratstvo jedinstvo", "die Brüderlichkeit und Einheit. Unser Glaube wurde mit der Tatsache genährt, dass unser Jugoslawien ein Staat von vielen Nationen, mehreren Religionen, Sprachen und Schriften ist. Wir haben alles, wurde uns suggeriert: die Alpen in Slowenien, die Tiefebene im kroatischen Slawonien und Vojvodina, die sich bis zum Horizont ausbreitet, die wunderschönen Wälder und Gebirge in Bosnien, die schönsten Bergflüsse der Welt, die Adriaküste mit den kroatischen Inseln und, und, und ... alles in allem: ein Paradies auf Erden.
Herzliche und historische Beziehung zu "Austria"
Jugoslawien hatte damals zwar etwas zurückhaltende, aber - wegen der doch gleichsinnigen Ideologie - dennoch herzliche Beziehungen mit den sozialistischen Ländern. Die nach außen wie nach innen offenen jugoslawischen Grenzen ermöglichten einerseits das Aufblühen des Tourismus, andererseits aber auch die freie Arbeitskraft-Bewegung von Hunderttausenden Gastarbeitern. Diese beiden Umstände brachten dem Staat eine nicht unwesentliche Finanzhilfe, ohne die jenes erwähnte "Paradies" vielleicht nicht in der Lage gewesen wäre, so lange zu überleben.
"Austria" war neben Italien der einzige "kapitalistische Nachbar Jugoslawiens. Griechenland haben wir nicht zu den "Kapitalisten" gezählt. Die Griechen galten damals als so "arm", dass das Sprichwort "verschuldet wie Griechenland" kursierte und sie daher für unsere Begriffe nicht zum Westen zählten. Mit Österreich verband uns der westliche Teil Jugoslawiens. Denoch waren wir damals ein Land. Daher wurde unter anderem auch überall die gemeinsame Geschichte mit Österreich hervorgehoben.
Die eingegrenzte mediale Welt von damals
Was die Medien betrifft, gehörte Ö3 zu meinen Lieblingssendern. Dazu muss man wissen, dass die mediale freie Bewegung in anderen Welten bei uns nicht so frei war. So wurde man an den Grenzen kontrolliert, ob jemand "volksfeindliche Materialien" durchschmuggeln wollte. Es gab bei uns nur vom Staat kontrollierte Medien, und die westliche Musik konnte nach Meinung der Kontrollorgane Schaden an der geistigen Gesundheit verursachen.
Man hörte - heimlich - The Voice of Amerika, um politische Kommentare zu bekommen. Es gab aber auch viele, die einfach nur Jazz, Rock und Popmusik hören wollten. Bevor Ö3 kam, beherrschte Radio Luxemburg die damalige Nachthörszene. Durch die Möglichkeit, das österreichische TV-Programm über unsere Antennen zu empfangen, dehnten sich unsere Kenntnisse über die westliche Welt noch weiter aus. Der "Club 2" wurde neben Frank Hoffmann mit seiner wunderschönen Stimme, seiner Erscheinung und seiner "Trailer"-Sendung für uns ein Muss.
Auch die österreichischen Politiker wie Bruno Kreisky oder später Fred Sinowatz hatten hohes Ansehen bei uns. Die Realpolitik bekam mehr und mehr an Wert. Dass Österreich außerhalb der NATO blieb, den Status der Neutralität behielt und einen der vier Amtssitze bei den Vereinten Nationen hatte, bestärkte das historisch und räumlich begründete Zusammengehörigkeitsgefühl.
Epilog zur Jetzt-Zeit
"Wir haben für Brüderlichkeit und Einheit unserer Völker ein Meer von Blut vergossen, sagte einmal Marschall Tito in einer seiner vielen Reden und fügte hinzu: "Wir werden niemanden erlauben, das zu wiederholen. Wir werden auch nicht zulassen, dass jemand diese Brüderlichkeit und Einheit von innen zerstört.
Zehn Jahre nach Titos Tod gab es dennoch unter Jugoslawiens Völkern ein weiteres Blutvergießen. Das "Multikulti-Paradies auf Erden" ist dabei - so versprechen es zumindest die jeweiligen führenden Politiker unserer Völker - in mehrere potenzielle Himmelreiche zerbrochen worden. Unverständlicher- oder nicht verständlicherweise haben jene Volksführer die gleiche Rhetorik für die Zersplitterung des gemeinsamen Staates verwendet, nämlich "Brüderlichkeit und Einheit". Jetzt aber spricht man nicht über das blockfreie Leben, sondern über einzelne unabhängige Staaten, die darum wetteifern, wer als Erster in eine Organisation - etwa in die NATO - aufgenommen wird. Wer das vor seinen ehemaligen Mitbürgern früher schafft, beweist auf diese Weise, dass er mehr Qualitäten hat, als die anderen. Unisono versprechen dabei aber alle noch immer ein "Paradies auf Erden".
Was mich betrifft, lebe und arbeite ich - 47 Jahre nach meinem ersten Aufenthalt in Österreich - seit 1992 in Wien. Das "Paradies ist es vielleicht nicht, aber auf jeden Fall ist es - mit allen guten und nicht so guten Seiten - menschlich. "Paradiese" habe ich sowieso genug gehabt. Und was mich noch mehr freut, ist, dass Österreich trotz EU außerhalb der Blöcke geblieben ist.
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Net.hr