Klassikerin in Prosa, Lyrik und Hörspiel

Ilse Aichinger wird 85

1942 hat sie mit ihrem ersten Roman angefangen. Seitdem hat sie nie aufgehört zu schreiben. Ihre Gedichte, Romane, Erzählungen und Hörspiele haben Ilse Aichinger, die am 1. November 2006 ihren 85. Geburtstag feiert, zur modernen Klassikerin gemacht.

"Wenn ich überhaupt nichts mehr erzählte und auch auf Fragen nur im äußersten Fall und nur dem Schein nach einginge?", schrieb Ilse Aichinger einst. Glücklicherweise ist es bei dieser Frage geblieben, denn zu erzählen hat die österreichische Autorin, die am 1. November 2006 ihren 85. Geburtstag feiert, nie aufgehört. Ihre Gedichte, Romane, Erzählungen und Hörspiele haben sie längst zur modernen Klassikerin gemacht.

Erster Roman "Die größere Hoffnung"

Ilse Aichinger kam mit ihrer Zwillingsschwester Helga am 1. November 1921 als Tochter einer Ärztin jüdischer Herkunft und eines Lehrers in Wien zur Welt. Ihre Kindheit, die durch die frühe Scheidung ihrer Eltern geprägt war, verbrachte sie in Linz. Später wuchs sie in der Obhut der mütterlichen Großeltern in Wien auf und musste mit ansehen, wie ihre Großmutter von den Nazis am Schwedenplatz in einem Lastwagen abtransportiert wurde.

Um ihren ersten Roman fertig stellen zu können, gab Aichinger ihr Medizinstudium nach fünf Semestern auf. "Die größere Hoffnung" erschien 1948. Das Buch, in dessen Zentrum eine Gruppe jüdischer Kinder im Wien der Nazizeit steht, fand bei seinem Erscheinen wenig Zustimmung, gilt heute aber als einer der wichtigsten deutschsprachigen Romane der Nachkriegszeit. Der Davidstern bedeutet darin nicht die geringere Hoffnung zu leben, sondern die größere, die Hoffnung "auf alles", Leben und Tod, Annahme des Leidens und Mut zur Angst.

Alles verlernen

1951 nahm sie erstmals an der Jahrestagung der "Gruppe 47" teil, wo sie ihren Schriftstellerkollegen und späteren Ehemann Günter Eich kennen lernte. 1952 erhielt sie den Preis dieser Gruppe für die "Spiegelgeschichte", jenen Text, der das Leben rückwärts von der Bahre bis zur Wiege erzählt, und mit dem ihr der literarische Durchbruch gelang.

Ziel des Lebens, so Aichingers Botschaft darin, sei der Tag der Geburt - "an dem du schwach genug bist" -, es gehe darum, alles zu verlernen, auch und besonders die Sprache.

"Das Schweigen zugleich brechen und bewahren"

In den folgenden Jahren näherte sich Aichinger zunehmend offenen literarischen Formen an, in denen lineare, kausale Zusammenhänge zu Gunsten sprachlicher Assoziationen in den Hintergrund treten. Die Autorin schrieb außer ihren großen Romanen Erzählungen, Kurzprosa, Gedichte und Hörspiele.

Ilse Aichinger wurde mit zahlreichen bedeutenden Auszeichnungen geehrt. Für ihr Lebenswerk erhielt sie den Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur (1995), 2000 - zusammen mit W.G. Sebald und Markus Werner - den Joseph-Breitbach-Preis, die höchstdotierte Auszeichnung für Schriftsteller in Deutschland. Die Jury lobte Aichingers "strenge, hellsichtige, unerhört konzentrierte, oft geisterhaft wirkenden Arbeiten", die "das Schweigen zugleich brechen und bewahren".

Im Jahr 2002 erhielt die Autorin den "Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln". In der Begründung hieß es damals: "Ilse Aichingers Werk beschreibt auf vielschichtige Weise die Möglichkeiten, die Barrieren zwischen konstruktivem Zusammenleben und gegenseitigem Unverständnis zu überwinden."

Mehr zu Ilse Aichinger über das Radio in oe1.ORF.at

Hör-Tipps
Tonspuren, Freitag, 27. Oktober 2006, 22:15 Uhr

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Hörbilder, Samstag, 28. Oktober 2006, 9:05 Uhr

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Du holde Kunst, Sonntag, 29. Oktober 2006, 8:15 Uhr

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Ex libris, Sonntag, 29. Oktober 2006, 18:15 Uhr

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Radiogeschichten, Dienstag, 31. Oktober 2006, 11:40 Uhr

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Hörspiel-Studio, Dienstag, 31. Oktober 2006, 20:31 Uhr

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Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendungen "Tonspuren", "Hörbilder" und "Ex libris" nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipps
"Ilse Aichinger. Ein Bilderbuch von Stefan Moses", mit ausgewählten Texten von Ilse Aichinger und einem Vorwort von Michael Krüger, Verlag S. Fischer 2006, ISBN 3100005287

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Ilse Aichinger, "Unglaubwürdige Reisen", S. Fischer Verlag 2005, ISBN 3100005279

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Ilse Aichinger, "Subtexte", GVA Vertriebsgemeinschaft 2006, ISBN 3902113464

Ilse Aichinger, "Die größere Hoffnung. Werke in acht Bänden", S. Fischer Verlag 1991, ISBN 3596110416

Veranstaltungs-Tipps
"Ilse Aichinger zum 85. Geburtstag. Eine Hommage", Montag, 30. Oktober 2006, Literaturhaus Salzburg

"Houdinis Erbe", nach Ilse Aichingers phantastisch-realistischer Kurzgeschichte "Der Gefesselte", 31. Oktober bis 4. November 2006, 3raum-Anatomietheater,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (10 Prozent).

Mehr dazu im Ö1 Kulturkalender

Links
Literaturhaus Salzburg
3raum Anatomietheater