Norwegens Energiereichtum und seine Schattenseiten

Vorstoß in die Arktis

Ein Viertel der weltweiten Öl- und Gasreserven liegt in der Arktis verborgen. Norwegens Ölindustrie unternimmt alles Mögliche, um mit neuen Methoden an ihre reichen Bodenschätze heranzukommen. Fischer fürchten um ihre Existenz, Umweltschützer warnen.

Harald Gjosaeter über das Ökosystem Barentssee

Seit mehr als zwei Jahrzehnten sind die norwegischen Energieunternehmen auf der Suche nach neuen Öl- und Gasfeldern, die eines Tages die erschöpften Reservoire in der Nordsee ersetzen sollen. Die Fördercrews stoßen dabei in immer tiefere Gewässer vor, und immer mehr rückt das Erschließen der Arktis als Förderstätte für neue Energiequellen in den Vordergrund.

Doch der Reichtum aus dem Meer hat auch seine Schattenseiten. Nicht nur die Fischer fürchten um ihre Existenz. Auch Umweltschützer und Meeresbiologen warnen vor den Folgen dieser Naturausbeutung.

Die Gasinsel

Schauplatz Hammerfest in der Region Finnmark im nördlichsten Zipfel Norwegens: Im Hafen dieser Kleinstadt, die einst blühendes Handelszentrum für die Fischerei gewesen ist, stehen heute graue Betonbauten. Hinzu kommen ein paar freudlose Hotels und Fischlokale sowie die örtliche Statoil-Trankstelle. Auf der Insel Melkoya, die direkt vor dem Hafen liegt und wo einst Schafe grasten, soll in einigen Monaten die größte Erdgas-Verflüssigungsanlage Europas in Betrieb gehen. Knapp sieben Milliarden Euro hat das internationale Snovith-Konsortium unter Führung des norwegischen Statoil-Konzerns in dieses technisch anspruchsvolle Projekt in der nördlichen Barentssee investiert.

Bereits 1981 stießen dort Geologen und Geophysiker auf gewaltige Lagerstätten dieses fossilen Energieträgers. Insgesamt sollen in diesem Gebiet nacheinander drei Gasfelder angezapft werden. Allein das Snovith-Feld in rund 2.000 Metern Tiefe unter dem Meeresboden könnte den gesamten globalen Bedarf für ein Jahr decken, sagt Statoil-Manager Odd Mosbergvik stolz.

Vertrauen und Misstrauen

Auch der Bürgermeister von Hammerfest, Alf Jacobsen, ist optimistisch: "Allein an Liegenschafts-Steuern werden uns künftig rund 15 Millionen Euro im Jahr zusätzlich zur Verfügung stehen. Das freut uns, denn Hammerfest ist eine geschundene Stadt. Die Bürger haben wenig Geld, aber bald können sie im Wohlstand leben. Es gibt auch eine rege Bautätigkeit. Die jungen Leute kommen zurück, und wir haben ja auch einiges zu bieten. Denken Sie nur an unsere malerische Landschaft hier!"

Nicht bei allen Bürgern löst die Baustelle vor der Stadt solche Visionen aus. Die Küstenfischer machen immer seltener Beute, weil die großen Fabrikschiffe, die oft wochenlang auf See bleiben, alles Leben aus dem Wasser ziehen. Auch in den Betrieben an Land, bei Findus und Nestle, haben Tausende ihre Arbeit verloren und sind weggezogen. Die Daheimgebliebenen fürchten um ihre Zukunft.

Alf Jacobsen sind solche Sorgen unverständlich. Er vertraut auf die Zusagen der Industrie: "Wir haben schon heute weitaus schärfere Auflagen als in den meisten anderen Förderländern, und die Technologie zum Schutz der Umwelt schreitet voran. Das norwegische Konzept des 'Zero Impact' sieht vor, dass allenfalls ein winziger Teil der Schadstoffe ins Meer gelangt. Der Rest wird gereinigt oder an Land entsorgt", versichert er.

Initiativen der Umweltschützer verhallen

Umweltschützer warnen hingegen vor den Folgen der Öl- und Gasausbeutung. In Svolvaer, der kleinen Inselhauptstadt der Lofoten, sehen die Mitarbeiter der Umweltorganisation "Natur og Ungdom" die Barentssee künftig schon als trübes Meer ohne Lebewesen mit rostenden Rohrlianen, Ölfässern und Ventilbäumen auf ihrem Grund.

Einzelne Bewohner dieses Küstenstreifens hoffen jedoch wie Jacobsen in Hammerfest auf mehr Arbeit und vertrauen eher der Ölindustrie als der Fischerei: "Die Fische sind doch sowieso schon weg. Ich bin vor 16 Jahren abgehauen; schon damals war die Lage schlecht. Meine Kumpels hier verdienen heute noch 25 bis 35 Euro am Tag. In der Ölindustrie ist das der Stundenlohn", sagt etwa ein Passant in einem belebten Einkaufszentrum von Svolvaer. Das Gegenargument, dass die Ölförderung nur für ein paar hundert Arbeitsplätze schaffe, der Tourismus aber Tausende, lassen nur wenige gelten.

Meeresbiologen befürchten Fischsterben

Auch ohne große Unfälle sei die Ölförderung ein schmutziges Geschäft, betont Meeresbiologe Harald Gjosaeter vom Meeresforschungsinstitut in Bergen. Vor allem auf den Förderplattformen entstünden immer wieder Leckagen. Und mit dem schwarzen Gold gelange auch verschmutztes Salzwasser aus dem Sediment an die Oberfläche. Stoffe wie Naphtalin und Phenol könnten im Meer die Fortpflanzung der Fische beeinträchtigen, befürchtet er.

Auch im zunehmenden Schiffsverkehr sieht er Gefahren, vor allem bei einer etwaigen Ölpest in den Laichgewässern: "Wir setzen uns ganz entschieden dafür ein, die Tanker-Routen möglichst weit von den Küsten fernzuhalten", betont Gjosaeter.

Die Folgen des Klimawandels

Ozeanografen des Instituts in Bergen haben auch festgestellt, dass vor Norwegen infolge des globalen Klimawandels immer weniger kaltes Tiefenwasser entsteht, das den Kreislauf des Golfstroms in Gang hält. Auch für dieses Jahr prognostizierten sie steigende Wassertemperaturen in der Barentssee. Überdies werde Kohlendioxid zu einem Großteil von den Ozeanen aufgenommen. Der wachsende Säuregehalt bedrohe aber das gesamte Leben in den Meeren, vor allem Korallenriffe und andere Organismen mit Kalkeinlagerungen, warnen die Wissenschaftler.

Auch bei der Gasproduktion aus unterirdischen Depots entweichen große Mengen Kohlendioxid in den Polarhimmel. Die Ingenieure von Statoil wollen deshalb das Klimagift auffangen und wieder dorthin zurückschicken, wo es herkommt - ins Sediment, 1.000 Meter tief unter der arktischen See: "Unser Gas enthält sechs bis acht Prozent Kohlendioxid. Das wird in der Anlage herausgefiltert und dann in einer zweiten Pipeline in das unterirdische Endlager gepumpt. Weitere Belastungen entstehen bei der Verstromung, aber auch dieses Problem werden wir mit der geeigneten Technologie in den Griff bekommen", verspricht Odd Mosbergvik, der Leiter des Snovith-Projekts auf Melkoya.

Kompromiss der norwegischen Regierung

Wegen der zunehmenden Gefahren, die durch Öl- und Gasförderung in der Barentssee entstehen, haben die Meeresforscher der Regierung in Oslo die Einrichtung von Schutzgebieten empfohlen. Ende März verabschiedete das Storting, das norwegische Parlament, den ersten umfassenden Plan zur Verwaltung der Barentssee. Es war eine Belastungsprobe für die rot-grüne Regierung in Oslo.

Geeinigt hat man sich schließlich auf einen Kompromiss: Zwar sollen dem Snovith-Projekt möglichst bald weitere Erkundungen in der Barentssee folgen. Die ökologisch hoch sensiblen Gewässer um die Inselgruppen der Lofoten und Västeralen aber bleiben zumindest für die nächsten fünf Jahre von sämtlichen Aktivitäten verschont, hieß es.

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Links
Wikipedia - Barentssee
Norwegen - deutsches Portal
Statistics Norway
Statoil

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