Die Lüge als boshafte Erfindung der Wahrheit

Die neue Ehrlichkeit des I Stangl

I Stangl will schlüssig beweisen, dass die Lüge nur eine boshafte Erfindung der Wahrheit ist, dass es nicht genügt, unfähig zu sein, man muss auch in die Politik gehen - und dass in jedem Mann etwas Gutes steckt, notfalls ein Küchenmesser.

Damals unter der Sozialdemokratiediktatur vom Kreisky

I Stangl freut sich. Der blödeste Kabarettbesucher Österreichs hat einmal in 25 Jahren einem intellektuell verführbaren Publikum Platz gemacht. Das lässt den Künstler hoffen. Hoffen auf eine neue, noch nie da gewesene "Chemie" zwischen dem Kabarettisten und seinem Ausnahmepublikum, das am Premierenabend im Kabarett Niedermair in Wien vollzählig versammelt zu sein schien.

I Stangl stimmte sein Wunschauditorium auch sogleich auf einen Abend ein, bei dem die AVAGs, die am Volksschulabschluss Gescheiterten, endlich einmal draußen geblieben sind. Wie er wohl sein Publikum an den weiterfolgenden Abenden begrüßen wird?

Ist Lüge nur die Abwesenheit von Wahrheit?

So viel zur bedingungslosen Ehrlichkeit, die I Stangl für sein Lieblingspublikum bereit hält. Doch was wäre die Ehrlichkeit ohne die Lüge? Welchen Wert hätte sie noch für uns alle? Und damit sind wir schon mitten in jenem Thema, das I Stangl gemeinsam mit seinem Co-Autor Johannes Vogler für das neue Bühnenprogramm aufgegriffen hat.

Die fließenden Übergänge zwischen ehrlich sein und schummeln, zwischen schummeln und lügen haben den Kabarettisten schon länger interessiert. Themenrelevante Beispiele gibt es offenkundig genug. Und dass lügen und kriechen in einem gewissen verwandtschaftlichen Verhältnis stehen dürften, darüber besteht für Stangl kein Zweifel.

Die Lehre von der Lüge

"Lügen ist so verdammt unehrlich", bedauert der Kabarettist. Zum Glück hat er sich für sein neuen Solo mit der Mentiologie befasst, der Lehre von der Lüge - seinem Ausnahmepublikum natürlich ausnahmslos bekannt - und ist dabei auf den Begriff der "kreativen Ehrlichkeit" gestoßen, eine Disziplin, die dem Kabarettisten ganz gut in sein Konzept passt, denn: Auch wenn I Stangl die Lüge geißelt, so muss er doch im Laufe des Abends feststellen: Die totale Ehrlichkeit würde der Menschheit auch nicht wirklich weiterhelfen. Auch nicht uns Leistungsträgern, wie Stangl sich und sein Ausnahmepublikum gerne zu nennen pflegt.

Um es mit dem Kabarettisten zu sagen: Nur das Publikum von morgen, die Korinischeks, die würden beispielsweise beim ersten Rendez-vous ganz unverblümt und wahrhaftig vorgehen. So bewegt sich I Stangl in seinem Programm dann doch eher am Rande zur kreativen Ehrlichkeit.

Für das Publikum von morgen

"Ich habe das Gefühl, seit 25 Jahren spiele ich nur für das Publikum von morgen", lässt I Stangl seine Bühnenfigur stöhnen. Der kleine dramaturgische Kunstgriff, seine Programminhalte immer den weniger aufgeweckten Kabarettbesuchern anpassen zu müssen, wirkt sich allerdings nicht auf die Themenvielfalt des Programms aus.

Es geht um Ernährungsgewohnheiten und verbale Inkontinenz, um Sepp Forcher als neuen Moderator für "Treffpunkt Kultur", um teure Weine, um Leistungsträger und den Titel gebenden mehr oder minder aufrechten Gang.

Keine Weltverbesserung

An das Wunder der Weltverbesserung im Kabarett glaubt I Stangl persönlich nicht mehr. Dennoch zeigt er auf der Bühne gerne, wohin die bodengebundene Vorwärtsstrategie im Alltag führen kann. Ein facettenreiches Spiel, das man gerne verfolgt.

Das Prinzip der "vergleichenden Publikumsforschung" - zwischen den Intellektuellen des aktuellen Abends und den Blöden von morgen - zeigt zwischenzeitlich allerdings gewisse Abnutzungserscheinungen.

Hör-Tipp
Contra, Sonntag, 22. Oktober 2006, 22:05 Uhr

Veranstaltungs-Tipps
I Stangl, "Wer kriecht, stolpert nicht", Kabarett Niedermair,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (Vorverkaufspreis an der Abendkasse)

I Stangl, "Wer kriecht, stolpert nicht", Kulisse,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (10 Prozent)

Links
Agentur Heitere Aussichten - I Stangl
Kabarett Niedermair
Kulisse
kabarett.at
kabarett.cc