Der ganz normale Wahnsinn des Kriegs
Ein Jahr auf der Hochebene
Erster Weltkrieg, die Front in Italien: Emilio Lussu schildert in seinem Buch den ganz normalen Wahnsinn des Kriegs trocken, beinahe lakonisch. In seinem Bericht, aufgezeichnet 20 Jahre später, nimmt er die Perspektive eines jungen Offiziers ein.
8. April 2017, 21:58
"Ein Jahr auf der Hochebene" enthält starken Tobak. In dem Titel gebenden Jahr verliert der Autor fast alle seine Bekannten, seine Studienkollegen, seine Freunde. Sie werden wahnsinnig, sie werden schwer verwundet, sie sterben. In anderen Worten, es ist Krieg.
Lussu beschreibt das Geschehen auf der Hochebene von Asiago, nördlich von Vicenza und südlich des Val Sugana, zwischen Trient auf der einen und Bassano del Grappa auf der anderen Seite. Vom Sommer 1916 bis zum Sommer 1917 war Lussus Brigade dort eingesetzt, um den Vormarsch der Österreicher in die Po-Ebene und in Richtung Venedig aufzuhalten. Welcher Kontrast aber zwischen der Sicht und den geradezu lyrischen Worten der Generalstäbe - "Durchbruchsschlacht" oder "schwungvolle Kriegshandlung" - und der blutigen, schmutzigen Wirklichkeit vor Ort.
"Haben Sie ihn erschießen lassen?" wollte der General wissen.
"Nein, Herr General. Der Soldat hat nur getan, was ihm befohlen worden ist."
"Lassen Sie ihn trotzdem erschießen", antwortete der General kühl. "Es muss ein Exempel statuiert werden."
Ruhmsucht, Heldenmut und schlichte Dummheit
Es fällt schwer zu entscheiden, welcher Aspekt dieses Kriegsberichts bedrückender wirkt: Das Sterben als unvermeidbare Folge jeden Krieges oder die vermeidbaren Opfer, die Toten als Folge von Ehrgeiz, von Ruhmsucht, Heldenmut und schlicht Dummheit.
Es liegt im Wesen der militärischen Hierarchie, dass man die Kommandanten von ihren auch noch so verrückten oder mörderischen, fixen Ideen nicht abbringen kann. Und es liegt anscheinend auch im Wesen des Militärs, zumindest damals, und nicht nur des italienischen, dass die Lehren aus den Strategiebüchern allemal mehr gelten als gesunder Hausverstand und die Situation vor Ort.
Der Oberstleutnant erklärte mir die Positionen, wobei er die Kognakflasche an Stelle des Zeigefingers benützte.
"Der Monte Fior ist zweitausend Meter hoch. Deshalb nennen ihn unsere Kommandostellen den Schlüssel zur Hochebene. Das Ganze ist natürlich eine enorme Dummheit. Und weiter? Nichts weiter. Sie werden sehen, dass die Österreicher den Berg angreifen werden, mit vierzig Bataillonen, wenn es sein muss, und völlig sinnlos. Und dann werden wir gleichgezogen haben. Das ist Kriegskunst."
Die große Menschenjagd
Emilio Lussu schildert den ganz normalen Wahnsinn des Krieges trocken, beinahe lakonisch. Oft auch mit sarkastischem Humor. In seinem Bericht, aufgezeichnet erst 20 Jahre später, nimmt er die Perspektive des damaligen jungen Offiziers ein, frisch promoviert von der Universität kommend, der den Kriegseintritt Italiens befürwortet hat und den Krieg für eine wenn nicht gerade gute, so doch für eine notwendige, eine ehrenhafte Sache hält.
Und: Lussu befolgt strikt eine Grundregel engagierten Schreibens: die eigenen Emotionen, die des Erzählers, nicht zwischen den Leser und die geschilderten Ereignisse zu stellen und dem Leser dessen Reaktionen auf das Beschriebene zu lassen. Eine sehr disziplinierte Erzählweise also, in der die Absurdität des Geschilderten umso stärker zur Geltung kommt.
Die große Jagd, die Menschen aufeinander machten, unterschied sich nicht sonderlich von der anderen Großwildjagd. Ich sah niemals einen Menschen. Ich sah stets nur den Feind. Nach so langem Warten, nach so vielen Patrouillengängen und so viel verlorenem Schlaf hatte ich ihn jetzt endlich im Fadenkreuz.
Die Abstumpfung gegenüber dem ständigen Sterben
Lussus Aufzeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg umfassen nur 220 Seiten. Wir erleben auf ihnen ein Jahr mit Schrecken, die sich die meisten von uns nicht vorstellen können. Aber wir beobachten auch - an uns selbst, beim Lesen - die Abstumpfung gegenüber dem ständigen Sterben. Wir registrieren, dass uns gegen Ende des Buchs der einzelne Tod eines verwundeten Kollegen, dem Lussu den letzten Brief der Geliebten vorliest, mehr berührt als die massenhaften Tode auf den Seiten davor. Es erscheint uns logisch, direkt menschlich, wenn Soldaten wahnsinnig werden, oder dem fast sicheren Tod den ganz sicheren vorziehen und sich kurz vorm Befehl zum Angriff selbst erschießen.
Da mittendrin liegt aber auch ein schneereicher Winter, ruhige, ja scheinbar heitere Wochen und Monate mit fast beschaulichem Lagerleben, man möchte meinen, ein langer Aufenthalt im Ferienlager, mit Vogelgesang, viel frischer Waldluft und sogar Zeit zum Lesen.
Literarische Entdeckung
Emilio Lussus Notizen über den Ersten Weltkrieg sind, das kann man ruhig sagen, eine literarische Entdeckung. Interessanterweise stammt das Buch von keinem Schriftsteller.
Lussu war Mitbegründer des Sardismo, der Bewegung für die Befreiung der sardischen Hirten, Landarbeiter, Kleinbauern und Bergleute Sardiniens, und verbrachte einige Jahre im Gefängnis. Er war Minister der ersten Nachkriegsregierung und im ersten Kabinett des Christdemokraten Degasperi, außerdem bis zu seinem 78. Lebensjahr Senator. Lussu starb 1975 mit 85 Jahren - jener militante Humanist, der uns schon in seinen Aufzeichnungen vom Krieg auf der Hochebene begegnet, oder der er vielleicht auch dort geworden ist.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Download-Tipp
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Buch-Tipp
Emilio Lussu, "Ein Jahr auf der Hochebene", aus dem Italienischen übersetzt von Claus Gatterer, Folio Verlag, ISBN 3852563313