Die russische Journalistin in einem ihrer letzten Interviews

Anna Politkowskaja, Persona non grata

Bekannt wurde sie durch die gegen das Putin-Regime gerichtete schonungslose Kritik am Tschetschenienkrieg: Anna Politkowskaja. Nun ist tot - sie wurde vor ihrer Wohnung in Moskau ermordet. Rubina Möhring hat vor einem Jahr mit ihr in Wien gesprochen.

Wegen ihrer Aufrichtigkeit und schonungslosen Kritik an der zaristisch-imperialistischen Politik Putins wurde Anna Politkowskaja nicht nur zur Gegnerin des Kreml, sondern auch zu einer Außenseiterin innerhalb der vielfach gleichgeschalteten Medienlandschaft ihres Landes - eine Journalistin, die bis zuletzt aufrecht für Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Wahrheit eintrat.

Im Vorjahr hatte sie im Wiener Akademietheater einen ihrer letzten öffentlichen Auftritte im Westen, genauer gesagt im Akademietheater in Wien. Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich, sprach mit ihr.

Es ist manchmal tödlich ...

Anna Politkowskaja auf der Bühne des Akademietheaters am 11. Dezember 2005 in Wien: "Es ist manchmal tödlich, ein Informant von mir zu sein, ein Berichterstatter, einer, der mir Informationen weitergibt. Die Menschen bezahlen wirklich mit dem Leben; und das passiert alle zwei, drei Monate, dass jemand verschwindet, der sagt, was er sich denkt.“ Heute, angesichts ihrer Ermordung wirken diese Worte bestürzend prophetisch.

Das Gespräch auf der Bühne des Wiener Akademietheaters im vergangenen Jahr war einer ihrer letzten öffentlichen Auftritte im Westen. Anna Politkowskaja ging zwar davon aus, dass ihre Popularität in der Welt zugleich auch ihr Schutzschild gegen Übergriffe und Anschläge seitens ihrer Feinde in Russland war. Dennoch liebte sie jegliches Aufheben um ihre Person nicht. Sie machte sich rar, war lieber in ihrem Land, um dort, wie sie es ausdrückte, "zur Stelle und nützlich zu sein".

Bis zum letzten Tag vor der Veranstaltung war unsicher, ob sie tatsächlich kommen werde. Dass sie tatsächlich kam, ist Gertraud Auer, der Generalsekretärin des Bruno Kreiskyforums für Internationalen Dialog, zu verdanken. Täglich war Gertraud Auer damals mit ihr in Kontakt und hatte so ihr Vertrauen geworden. Noch vor wenigen Tagen, kurz vor Annas gewaltsamen Tod, hatten die beiden über Ferien gesprochen. Anna fühlte sich matt und wollte sich endlich einmal ausruhen.

Mit einem Augenlächeln gegen den Strom

Es fällt mir immer noch schwer, von Anna in der Vergangenheit zu sprechen. Ihre Präsenz, ihre Stärke und ihr unprätentiöses, warmes Wesen nimmt jeden sofort gefangen, und man glaubt, schon immer in ihrer Nähe gewesen zu sein. Mit ihren großen dunklen Augen schaute sie einen an; ihr Blick war ganz gerade und offen - wie der Blick von Kindern, die noch nicht gelernt haben, sich zu verstellen und deren Vertrauen in die Welt noch nicht erschüttert wurde. Anna hatte sich trotz aller Gefährdung und trotz all der Gräuel, die sie recherchierte und beschrieb, bis zuletzt ihre Zuversicht und Liebe zu den Menschen erhalten.

Sie folgte einer Mission, wenn sie so eindringlich über die Situation in Russland sprach, über die Aussichtslosigkeit des Krieges in Tschetschenien, die eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit in ihrem Land und die Isolation jener, die wie sie gegen den Strom schwimmen. Doch bei aller Ernsthaftigkeit lag in ihrem Blick stets dieses besondere Augenlächeln, das nur jenen Menschen zuteil ist, die in sich ruhen und durch und durch authentisch sind.

Anna wirkte wie eine Kerze, die von beiden Seiten brennt. Sie war eine Getriebene in Sachen Menschenrechte und Pressefreiheit. Sie war ein Mensch von einer solchen - letztlich tödlichen - Konsequenz, die auch nachdenklich darüber macht, welche Risiken wir selbst innerhalb unserer saturierten Demokratien aufzunehmen bereit wären.

Keine Fremde in der Fremde

Anna Politkowskja war einem Traum gefolgt. Ihr Traum hieß Pressefreiheit und Meinungsvielfalt in ihrem Land Russland. Und sie lebte diesen Traum. Trotz Gefährdung blieb sie in ihrem Land. Sie wollte keine gefeierte Emigrantin sein. Sie wollte trotz vielfacher Bedrohung nicht fliehen. Sie wollte keine Fremde in der Fremde sein. Sie wollte stattdessen von zuhause über ihr Zuhause Russland berichten. Sie wollte ihrem Land zugehörig bleiben, sie wollte authentisch bleiben. Sie wollte sie sein! Und weil sie so war, wie sie gewesen ist, wurde sie ermordet, hingerichtet.

"Wir in Russland sind es so gewöhnt, dass alle möglichen Menschenrechte unter dem Titel 'Terrorbekämpfung' außer Kraft gesetzt werden, sodass das schon niemanden mehr erstaunt. Eine der schlimmsten Folgen dieses Außerkraftsetzens der Menschenrechte ist die Tatsache, dass der Rassismus immer stärker wird.“

Mit diesen Worten endete unser Gespräch am 11. Dezember 2005. Gemeinsam hatten das Burgtheater, das Bruno Kreiskyforum für internationalen Dialog und Reporter ohne Grenzen damals unter dem Titel "Warum Krieg - Reporterinnen im Krieg" in das Wiener Akademietheater eingeladen.

Rubina Möhring ist Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich und Vizepräsidentin von Reporters sans Frontières.

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Journal-Panorama, Donnerstag, 12. Oktober 2006, 18:25 Uhr

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