Norwegens Ölvorkommen ein Ruhepolster für die Zukunft?
Trügerischer Reichtum
Norwegen ist der drittgrößte Ölexporteur der Welt geworden. Die Ölmilliarden sichern den Wohlstand, verführen aber zu trügerischer Sicherheit. Viele fürchten, dass Norwegen den Anschluss an die Zukunft verliert, wenn sich das Land auf den Ölmilliarden ausruht.
8. April 2017, 21:58
Kritische Stimmen zu Norwegens Öl- und Gasindustrie
Norwegen ist der drittgrößte Ölexporteur der Welt geworden. Im nationalen Petroleumfonds sind nicht weniger als 185 Milliarden Euro gebunkert. Der Energieriese im Norden ist auf die EU nicht angewiesen und bleibt auf Distanz.
Die Ölmilliarden sichern den Wohlstand, verführen aber zu trügerischer Sicherheit. Viele fürchten, dass Norwegen den Anschluss an die Zukunft verliert, wenn sich das Land auf den Ölmilliarden ausruht, statt sich zu modernisieren. Wenn die Ölvorräte in der Nordsee zur Neige gehen, könnte es ein böses Erwachen geben.
Die EU-kritischen Norweger
Nach einer Studie der Vereinten Nationen ist Norwegen das Land, in dem es sich am besten leben lässt. Das wissen die Norweger, und daher meinen sie, außerhalb der EU besser aufgehoben zu sein, oder anders herum: Sie sind auf die Segnungen der Europäischen Union nicht angewiesen.
Zwei Volksabstimmungen hat es bisher gegeben, in beiden wurde eine Mitgliedschaft in der EU abgelehnt. Selbst Außenminister Jonas Gahr Störe, selbst Befürworter eines EU-Beitritts, sieht derzeit keinen Handlungsbedarf: Die Zugehörigkeit zum EWR, zum Europäischen Wirtschaftsraum, mit der automatischen Übernahme zahlreicher EU-Regelungen vor allem auf wirtschaftlicher Ebene biete genug Integration, meint er. Norwegens Industrieverband hingegen argumentiert so, wie es auch wir in Österreich vor der Volksabstimmung gehört haben: Norwegen könne nur mit- oder nachvollziehen, was in Brüssel entschieden wurde, aber nicht mitgestalten.
Die norwegische Fischerei
Wichtig ist den Norwegern, dass die Landwirtschaft und vor allem die Fischerei vom EU-Binnenmarkt ausgenommen sind. Fischereiministerin Helga Pedersen betont, der Reichtum der aus dem Meer komme - also Fisch, Schifffahrt, Öl und Gas - all dies sei wichtiger Bestandteil der Identität Norwegens. Gerade im Norden des Landes wären ganze Küstenstriche ohne die Fischerei bereits entvölkert. Fisch ist der fünftgrößte Exportposten Norwegens.
Die Zusammenarbeit mit der EU funktioniert gut, wenn es um illegale Fischerei in der Barentsee geht. Meinungsverschiedenheiten gibt es aber bei Lachs. Da wirft die EU den Norwegern vor, den Markt mit billigem Lachs zu überschwemmen und sich nicht an Mindestpreise zu halten. Die Antwort aus Oslo: Unerlaubter Protektionismus, um die schottischen Lachsproduzenten zu schützen. Die Konsequenz: Ein Verfahren vor der Welthandelsorganisation WTO. Norwegens Fischereiindustrie hat indessen Firmenniederlassungen in den Niederlanden, in Belgien und in Frankreich gegründet, um sich den Zugang zum EU-Markt zu sichern.
Drittgrößter Öl- und Gasexporteur der Welt
Eine entschiedene Gegnerin eines EU-Beitrittes ist auch Finanzministerin Kristin Halvorsen. Sie kritisiert, dass Brüssel den Mitgliedsländern zu wenig Spielraum in der Wirtschafts- und Finanzpolitik lässt. Den will sich Norwegen bewahren. Denn Norwegen ist der drittgrößte Öl- und Gasexporteur der Welt geworden. 60 Prozent der Exporterlöse kommen aus diesem Bereich.
1990 ist der nationale Petroleumfonds gegründet worden. Heuer liegen da bereits umgerechnet 185 Milliarden Euro auf der hohen Kante. Es ist ein Zukunftsfonds. Nur vier Prozent dürfen pro Jahr ins Budget fließen und so laufende Ausgaben decken. Hat Norwegen also finanziell ausgesorgt?
Ökonomen und Industrielle warnen
Obwohl Norwegen derzeit keinerlei finanzielle Sorgen zu haben scheint, warnen Ökonomen, sich auf den Ölmilliarden auszuruhen. Die Gefahr sei groß, dass sich andere Länder wie Schweden, Finnland oder Deutschland unter dem Druck des internationalen Wettbewerbs modernisieren, in neue Technologien investieren, wird allseits argumentiert. Norwegen könnte den Anschluss verlieren.
Schärfer formuliert es der Industrieverband: Er sieht Norwegen vom Erdöl ebenso gesegnet wie verflucht. Wenn die Menschen nur mehr 30 Jahre haben, um ihr ganzes Leben von 90 Jahren zu finanzieren, einschließlich Ausbildung und Pension, so muss das jedes Sozialsystem sprengen. Der Ökonom Arne John Isaacsen meint, ohne Öl und Gas wäre das Bruttoinlandsprodukt zwar um fünf bis zehn Prozent geringer, aber dafür wäre die Wachstumsdynamik größer, wenn sich Norwegen ohne das Ruhekissen der Ölmilliarden den Herausforderungen der modernen Welt stellen müsste. Den Norwegern würde es daher ohne Öl und Gas nicht viel schlechter gehen.
Wichtiger Öl- und Gas-Partner für die EU
Durch den großen Öl- und Gasreichtum erfreut sich Norwegen jedenfalls derzeit auch wachsender Aufmerksamkeit durch die EU, vor allem seit Russland im Gasstreit mit der Ukraine die Muskeln hat spielen lassen.
Norwegens Außenminister Jonas Gahr Störe kann sich dabei allerdings einen Seitenhieb auf die russischen Sitten im internationalen Öl- und Gasgeschäft nicht verkneifen: Norwegen verkauft Öl und Gas völlig frei auf einem völlig freien Markt, sagt er. Norwegen ist sich seiner Verantwortung als wichtiger Öl- und Gaslieferant Westeuropas bewusst: als guter Partner, nicht als einer, der seine Interessen mit Trumpfkarten durchsetzt.
Hör-Tipp
Saldo, 13. Oktober 2006, 9:45 Uhr
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