Im Kontext der Zeit
Das Unbehagen in der Kultur
Kultur ist für Sigmund Freud alles, womit sich der Mensch gegen die Natur schützt und das Zusammenleben regelt. Doch diese Regeln zwingen den Menschen ureigene Triebe einzuschränken. Deshalb lebt er immer in einem Widerspruch zu seiner Veranlagung.
8. April 2017, 21:58
Was zu Sigmund Freuds Zeiten den Menschen Unbehagen bedeutete, kann heute vergnüglich sein. Deshalb ist das Unbehagen in der Kultur immer im Kontext der Zeit zu analysieren. Im 20. Jahrhundert keimt für Sigmund Freud das Unbehagen. "Es scheint festzustehen", schreibt Freud, "dass wir uns in unserer heutigen Kultur nicht wohl fühlen", wir seien unzufrieden bis zur "Kulturfeindlichkeit" und reagierten auf diese Situation mit Schuldgefühlen, mit Neurosen und Wünschen nach einfacheren Verhältnissen.
Sigmund Freud schrieb dies 1930 in dem Text "Das Unbehagen in der Kultur". Zur Zeit einer hierarchisch geordnete Familienkultur, die kaum aufgelöst wurde. Das war eine Kultur, die an Herkunft und Ort gebunden war und dies meist auch blieb. Der Gang der Dinge und der des Lebens waren absehbar, berechenbar. Nichts ist heute noch so wie einst.
Überfordert, vom Wandel der Zeit?
Vergangenheitsbewältigung war in den 1990 Jahren Gebot der Stunden. Das Thema der Vertreibung bleibt. Die Zeit des Friedens hat für Europa die Errungenschaften der Moderne gebracht. Und mit ihnen die Nöte der Zeit.
In der westlichen Welt leben wir heute in einer Gesellschaft, in der vieles möglich ist und für manche alles geht. Zugleich verunsichert gerade dies viele Menschen, macht sie aggressiv. Dazu kommen die großen Wanderbewegungen. Die wenigsten Menschen genießen den ständigen Wandel der dauerhafte Bindungen erschwert. Für viele ist es ein unfreiwilliges Nomadentum, eine Flucht vor Gewalt, Hunger und Not.
Das hat auch Auswirkungen auf die Ich-Bildung des Menschen. Helmuth Figdor, Psychoanalytiker, Dozent am Institut für Erziehungswissenschaften und Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Psychoanalytische Pädagogik, geht davon aus, dass die Karriereanforderungen unserer Zeit, die ökonomischen Wünsche und sozialen Aufstiegssehnsüchte weniger Ausdruck des kooperativen Zusammenlebens sind, sondern mehr als zu Freuds Zeiten vom Es gesteuert werden.
Glück oder einfach nur das Ertragen des Alltags?
Sigmund Freuds Text, über das Unbehagen in der Kultur ist, so behaupten manche, vielleicht der letzte Traktat über das Glück. Nicht der Lustgewinn aus dem Höheren und Feineren, ist sein Thema, sondern das schiere Ertragenkönnen des Alltags. Wer immer Glücksverheißungen verkündet, wäre in Freuds Augen ein Betrüger: "Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist zu schwer für uns, es bringt uns zuviel Schmerzen, Enttäuschungen, unlösbare Aufgaben."
Sigmund Freud schrieb dazu bereits 1930: "In den letzten Generationen haben die Menschen außerordentliche Forschritte in den Naturwissenschaften und in ihrer technischen Anwendung gemacht, ihre Herrschaft über die Natur in einer früher unvorstellbaren Weise befestigt. Die Einzelheiten dieser Fortschritte sind allgemein bekannt, es erübrigt sich, sie aufzuzählen. Die Menschen sind stolz auf diese Errungenschaften und haben ein Recht dazu. Aber sie glauben bemerkt zu haben, dass diese neue gewonnene Verfügung über Raum und Zeit, diese Unterwerfung der Naturkräfte, die Erfüllung jahrtausendealter Sehnsucht, das Maß von Lustbefriedigung, das sie vom Leben erwarten, nicht erhöht, sie nach ihren Empfindungen nicht glücklicher gemacht hat. Man sollte sich begnügen, aus dieser Feststellung den Schluss zu ziehen, die Macht über die Natur sei nicht die einzige Bedingung des Menschenglücks, wie sie ja auch nicht das einzige Ziel der Kulturbestrebungen ist, und nicht die Wertlosigkeit der technischen Fortschritte für unsere Glücksökonomie daraus ableiten."
Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung "Salzburger Nachtstudio" vom Mittwoch, 4. Oktober 2006, 21:01 Uhr zum Thema "Das Unbehagen in der Kultur" nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Links
Sigmund Freud Museum Wien
Freud-Institut
Wiener Psychoanalytische Vereinigung