Das neue Selbstbewusstein der Native Americans
Die Renaissance der "First Nations"
Ob Sioux, Apache, Navajo oder Cherokee - die Nachfahren der einstigen Ureinwohner Nordamerikas beschränken sich längst nicht mehr auf ein Leben in Reservaten. Es herrscht Aufbruchsstimmung unter den mehr als 500 Stämmen.
8. April 2017, 21:58
Gene Howard über die Geschichte indianischer Kulturen
Navajo, Hopi, Ponca und Sioux beschränken sich längst nicht mehr auf ein Leben in abgelegenen, häufig heruntergekommenen Reservaten, sondern spielen zunehmend eine selbstbewusste Rolle in der amerikanischen Öffentlichkeit. Längst arbeiten Angehörige der Cheyenne und Apaches als Ärzte, Anwälte oder an der Spitze von Unternehmen.
Es herrscht Aufbruchstimmung unter den 500 nordamerikanischen Stämmen. Aber auch in der US-Bevölkerung wird das Interesse an den Ureinwohnern und ihrer Lebensform immer größer. Und in gewissen Kreisen gilt es sogar als überaus chic, einen indianischen Medizinmann als Ahnen vorweisen zu können.
Das neue Selbstbewusstsein
Die lautstarken Trommelwirbel der öffentlichen Powwows - ob in Albuquerque, in Oklahoma City oder in Washington DC - stehen für das neue Selbstbewusstsein der Indians. Die Shows mit Adlerfedern und Mokassins, Tomahawks, Pfeil und Bogen geben den mehr als 500 Stämmen in den USA die Gelegenheit, sich und ihre Kultur einem breiten Publikum bekannt zu machen: "Plötzlich will jeder Indianer sein, erklärt Dan Corley von den Cherokee das große öffentliche Interesse dieser Powwows. Noch vor Jahren hätten seine Eltern seine Abstammung verschwiegen.
Auch das "Gathering of the Nations, bei dem jedes Jahr "Miss Indian World gekürt wird, ist im Gegensatz zu anderen Schönheits-Wettbewerben eine Veranstaltung, bei dem die Kultur der Ureinwohner im Mittelpunkt steht: "Hier geht es um das Wissen der jungen Frauen über ihren Stamm, über die Traditionen, die sie präsentieren, um ihre Persönlichkeit und um die Frage, wie gut sie alle Stämme repräsentieren können", betont Organisatorin Melonie Matthews. "Die Aufgabe der Siegerin ist es, eine Botschafterin zu sein. Sie muss die Unterschiede und Gemeinsamkeiten innerhalb unserer Kulturen kennen und für andere Kulturen offen sein.
Indianische Kultur erlebt Renaissance
Das Interesse an den Ureinwohnern und ihrer Lebensform hat auch in der amerikanischen Gesellschaft deutlich zugenommen. Das sichtbarste Symbol dafür ist das Museum der Indianer, das 2004 mitten in der Hauptstadt Washington in Sichtweite des Capitols eröffnet worden ist. Auch in Oklahoma, wo im nächsten Jahr die 100-Jahr-Feierlichkeiten seit Bestehen als 46. US-Bundesstaat anstehen, wird demnächst in der Hauptstadt ein neues Museums für indianische Kultur eröffnet.
Die Nachfahren der Ureinwohner spielen aber auch politisch eine Rolle. Im Capitol von Oklahoma City im Bundesstaat Oklahoma zum Beispiel repräsentiert Shane Jett nicht nur seine Partei, die Republikaner, sondern auch seinen Stamm, die Cherokee: "Es gibt eine Renaissance der Kultur der Ureinwohner, gerade hier in Oklahoma, wo 39 Stämme leben. Es kommen auch viele Touristen, die alles über indianische Kultur wissen wollen, sagt er.
Der umstrittene Blutausweis
Um Indianerkunst präsentieren und verkaufen zu können, benötigt man den so genannten CDIB-Ausweis - eine Legitimation in Scheckkartenform, der anhand der Blutquote beweisen soll, dass man indianischer Abstammung ist. Der Stamm der Chickasaw, dem neben einer Schokoladenfabrik auch eine Bank gehört, ermöglicht Ureinwohnern mit diesem Ausweis die Finanzierung eines Eigenheims mit geringen Eigenmitteln. Aber nicht alle Indians sind mit diesem Ausweis zufrieden.
Der erfolgreiche indianische Musiker Shawn Michael Perry, ebenso Besitzer dieser Blutkarte, will weder seine Musik in Kategorien noch Menschen in Gruppen einordnen: "Ich denke, wir sind die einzige Gruppe von Menschen, die mit einem Blutausweis nachweisen müssen, wer sie sind. Das ist doch lächerlich! Der Ausweis ist doch veraltet. Wir sollten alle Amerikaner sein, unabhängig von der Hautfarbe, von der Rasse, zu der wir zufällig gehören!" Mit seiner Musik will er Grenzen überwinden, aber nicht vergessen, woher er kommt: "Es geht darum zu entdecken, wer wir sind. Ein gutes Lied kann Zeit, Raum und Meinungsverschiedenheiten überwinden.
Brückenbauer zwischen Tradition und Moderne
Auch der Musiker Mistik und sein Bruder Shade vom Stamm der Navajo versuchen hörbar, Tradition und Moderne zusammen zu bringen. Offensichtlich mit Erfolg, denn ihre CDs mit Hip-Hop-Musik verkaufen sich gut. Ihr Ziel sei es, in beiden Welten zu Hause sein, sagt Mistik. "Wir müssen unsere Traditionen weitertragen. Gleichzeitig müssen wir ganz normale Jobs haben und lernen. Aber wir können unsere Geschichte, unsere Sprache, unsere Kultur nicht vergessen - weil wir eben in beiden Welten leben und diese Gratwanderung machen müssen."
Mistik und seine Navajo-Musiker verstehen sich als Brückenbauer zwischen Moderne und Tradition, zwischen Großeltern und Enkeln. Und er ist selbstbewusst genug, sich in der Öffentlichkeit nicht zu verstecken. Auch andere seien erfolgreich, betont Mistik: Es gibt indianische Ärzte, Rechtsanwälte oder Ladenbesitzer. Es gibt Leute, die ein eigenes Unternehmen haben und indianische Produkte verkaufen. Wir sind jetzt ein Teil der amerikanischen Gesellschaft. Wir sind jetzt wie alle anderen, aber dennoch sind wir anders und gehen unseren eigenen Weg."
Über "Ja, wenn-Typen
Gena Howard, die Direktorin des indianischen Kulturzentrums, das in Oklahoma City entsteht, versteht sich als Amerikanerin und als Indianerin. In der US-Gesellschaft fühlt sie sich aufgehoben und integriert: Es gibt ein großartiges Zitat von Walt Disney. Er sagt, es gebe zwei Typen von Menschen auf dieser Welt, und zwar 'Nein, weil- und Ja, wenn-Leute. Ich favorisiere Ja, wenn-Typen. Das heißt: Ja, es gibt Chancen, wenn man hart arbeitet, wenn man an sich glaubt."
Howard betont auch, dass die Ureinwohner Amerikas über Tausende von Jahren Entwurzelung und Umsiedlung erlebt hätten: "Die indianischen Kulturen haben sich dabei als anpassungsfähig und beständig erwiesen. Es ist wichtig, die Geschichte der Entwurzelung und Umsiedlung zu verstehen. Dann wird man auch begreifen, was Amerika heute ist und wohin es sich morgen bewegt."
Sei ein Indianer
Und so bewegen sich die Ureinwohner Amerikas am Beginn des 21. Jahrhunderts zwischen diesen Polen: Dem Glauben an eine Zukunft in der modernen US-amerikanischen Gesellschaft und dem Festhalten an einer Jahrhunderte alten Kultur, die durchaus vom Vergessen bedroht ist.
Kitschige Folklore in Form von öffentlichen Powwows, dargeboten für Touristen, habe mit diesen alten Traditionen allerdings nur wenig zu tun, sagt Warren Queton vom Stamm der Kiowa-Cherokee. Für ihn liegt es an den Indianern selbst, wie die Entwicklung weitergeht: Sie müssen ihre Kultur wieder erlernen und annehmen. Sie müssen lernen, Indianer zu sein - jeden Tag, in jeder Situation. Das ist sehr wichtig. Wer ist also ein Indianer? Jeder muss das selbst für sich entscheiden: Wenn Du ein Indianer sein willst - sei ein Indianer!"
Hör-Tipp
Journal-Panorama, Donnerstag, 5. Oktober 2006, 18:25 Uhr
Download-Tipp
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Links
Indianer-Web - Native Americans
Wikipedia - Indianer Nordamerikas