Reisezentren mit Shopping Center

Die großen Bahnhöfe

Die großen Bahnhöfe der europäischen Metropolen waren früher so etwas wie die Eingangstore zur Stadt. Heute werden Bahnhöfe weniger von Fernreisenden als von Pendlern frequentiert, sie sind Umsteigeknoten, service-orientiert und Einkaufszentrum.

Früher waren die großen Bahnhöfe Tore in die weite Welt und erlaubten die Flucht aus dem Alltag hin zu oft ganz besonderen Zielen. Heute entfallen auf den Fern- oder Reiseverkehr der ÖBB nur noch 14 Prozent der Bahnkunden. Der Großteil der Fahrgäste nutzt die Schiene für den tagtäglichen Weg zur Arbeit oder zur Ausbildung. Bahn fahren ist damit zur Routine geworden - und der Bahnhof zu einem recht gewöhnlichen Ort.

Die Fahrgastzahlen der heute wichtigsten Stationen Wiens belegen das. Der spröde und verkommene, im Stadtbild kaum wahrnehmbare S-Bahnhof Wien Mitte hat mit 43.000 Personen pro Werktag dieselbe Frequenz wie der Westbahnhof. Und klassische Pendler-Stationen wie Meidling oder Floridsdorf zeigen mit knapp 40.000 Fahrgästen eine ähnliche Auslastung wie der Südbahnhof.

Snack-Bar statt Bahnhofsrestaurant

Auch im Service der Bahnhöfe schlägt sich die Verschiebung vom Reise- zum Berufsverkehr nieder. Die Bahnhofsrestaurants verlieren ihre Kundschaft zunehmend an Bäckereien, Pizza-Stände und Snack-Bars. Die Kioske für den Reisebedarf stehen längst im Schatten von Supermarktfilialen.

Eine Gepäckaufbewahrung mit Bedienung gibt es nur noch in wenigen westeuropäischen Bahnhöfen, und selbst die Schließfächer wandern in immer entlegenere Winkel: Wer jeden Tag Bahn fährt, hat nicht viel Gepäck bei sich - und braucht oft auch keinen Fahrkartenschalter mehr: Am Automat kauft man sein Ticket rascher und billiger.

Neue Bürotürme

Wenn heute im Umfeld großer Bahnhöfe Hochhäuser entstehen, sind es keine Hotels mehr. Wen sollten sie auch beherbergen? Fast ausnahmslos sind es Bürotürme, die die hohe Erschließungsqualität dieser Standorte nutzen. Beim geplanten Wiener Hauptbahnhof sollen einst elf solcher Hochhäuser stehen. Dazu kommt ein Shopping Center mit 20.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, dem eine rentable Kundenfrequenz angesichts Zigtausender Ein-, Aus- und Umsteiger gesichert scheint.

Ohne die tägliche Nachfrage der Pendler gäbe es heute wohl auch keines der zahlreichen Umbau- oder Neubauprojekte für Österreichs große Bahnhöfe, denn der Reiseverkehr wird längst über Flughäfen oder Autobahnen abgewickelt. So ist die europaweite Renaissance der Bahnhöfe vor allem darauf zurückzuführen, dass das zeitgenössische Massenverkehrsmittel - das Auto - im Regionalverkehr der Ballungsräume an Kapazitätsgrenzen gestoßen ist.

Aushängeschild Hauptbahnhof Linz

Das Aushängeschild der Bahnhofsoffensive, die von den ÖBB Mitte der 1990er gestartet wurde, ist der neue Hauptbahnhof in Linz. Hier ist bis 2005 ein leistungsfähiger Knoten des öffentlichen Verkehrs entstanden, mit direkter Anbindung aller drei Straßenbahnlinien und einem modernen Busterminal. 2.000 Parkplätze und 1.500 Radabstellplätze stehen für die Bahnhofskunden zur Verfügung - wohl gemerkt für Bahnhofskunden und nicht nur für Fahrgäste, denn ein Ziel der ÖBB ist es, ihre Bahnhöfe durch ein breites Handels- und Dienstleistungsangebot auch für Nicht-Reisende attraktiv zu machen.

Europaweiter Ausbau

Europaweit verwandeln sich die großen Stationen immer mehr von Orten des Verkehrs zu Orten des Aufenthalts und damit auch des Konsums. Die Deutsche Bahn AG hat mit dem Umbau des Hauptbahnhofs Leipzig neue Maßstäbe in der Kommerzialisierung der Bahnhöfe gesetzt. Mit 700 Millionen Euro an öffentlichen und privaten Investitionen wurde der größte Kopfbahnhof Europas zu einem Einkaufszentrum mit 30.000 Quadratmeter Verkaufsfläche umgewandelt. Die 270 Meter lange Bahnhofshalle bietet auf drei Etagen ein konkurrenzloses Warenangebot, das die Geschäftsstraßen der Leipziger Innenstadt in arge Bedrängnis bringt.

Führend bei der Neugestaltung der Bahnhöfe als urbane Zentren ist die Schweiz, deren Bahnhofsoffensive den bezeichnenden Titel "Rail City" trägt. Knapp 500 Millionen Euro flossen bisher in den Ausbau und die Modernisierung der sieben größten Bahnhöfe. Auch in Zürich, Bern oder Basel verfügen die Stationen mittlerweile über ein umfangreiches Handels- und Dienstleistungsangebot - allerdings in ergänzenden Neubauten, die auch Raum für Büros oder Schulen bieten.

Mehr zu "Großer Bahnhof" im Wien Museum in Ö1 Inforadio

Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 30. September 2006, 17:05 Uhr

Mehr dazu in Ö1 Programm

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Veranstaltungs-Tipp
Ausstellung "Großer Bahnhof - Wien und die weite Welt", bis 25. Februar 2007, Wien Museum Karlsplatz,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (25 Prozent).

Link
Wien Museum - Großer Bahnhof