Die Folgen des Wirtschaftswunders im Reich der Mitte
Droht China ein Öko-Kollaps?
Chinas wirtschaftlicher Aufschwung geht mit schweren Beeinträchtigungen der Umwelt einher. Beim Bau von Fabriken oder ganzen Stadtteilen werden Umweltauflagen - wenn überhaupt vorhanden - oft umgangen. Droht ein ökologischer Selbstmord?
8. April 2017, 21:58
Meinungen zum Drei-Schluchten-Staudamm
Seit dem wirtschaftlichen Aufschwung, der in den 1980er Jahren begonnen hat, wächst Chinas Energiebedarf stetig. Fabriken, Hochhäuser und Autobahnen werden im Schnellverfahren aus dem Boden gestampft. Umweltauflagen werden - wenn überhaupt vorhanden - gern umgangen. Die Folgen: Das Reich der Mitte ist binnen kurzer Zeit zu einem der größten Luftverschmutzer der Welt geworden.
Auch das Konsumverhalten der Bevölkerung hat sich sukzessive verändert. Man investiert in elektrische Geräte, Kühlschränke, Gefriertruhen, neue Hi-Fi-Anlagen, Fernseher oder Computer, was angesichts der Einwohnerzahl zu einem immens hohen Energieverbrauch führt, der die Kapazitäten der Stromversorgung übersteigt. Droht ein ökologischer Zusammenbruch?
Umweltbelastungen erschreckend
Die Verbindungen der Stromkabel für die so genannten "Hutongs", die im Schnitt 30 Quadratmeter großen traditionellen Wohnblöcke in Peking, sehen aus wie selbstgebastelt. Alles hängt wirr durcheinander. Kabel lösen sich und baumeln über dem Bürgersteig. Kinder spielen dort fangen. Wegen der zunehmenden Umweltschäden gehen immer mehr Chinesen auf die Straße und fordern einen umfassenderen Umweltschutz.
Die chinesische Regierung erhielt in den letzten drei Jahren nicht weniger als 1,5 Millionen Beschwerden wegen verseuchter Flüsse, Smog und anderer Umweltbelastungen. In der Hauptstadt selbst ist nur an wenigen Tagen die Sonne zu sehen. Meist verhüllt eine diesig beige-graue stinkende Smogglocke die an die 19 Millionen Einwohner zählende Metropole. Neben den etwa zwei Millionen Autofahrern sind auch unzählige Radfahrer täglich unterwegs, die bereits vermehrt Atemschutzmasken tragen. Im Westen der Hauptstadt ist eine Stahlfabrik, im Osten eine Chemiefabrik. Und die meisten heizen hier im Winter mit Kohle. Nach den USA stößt das Reich der Mitte die meisten CO2-Emissionen aus.
Auch 70 Prozent aller chinesischen Flüsse gelten als verdreckt. Am längsten Fluss Chinas, dem Jangtze, ist bereits durch die extreme Verschmutzung die Trinkwasserversorgung von mehr als 180 Städten bedroht. Und Experten befürchten, dass die Belastung mit Giftstoffen den Jangtze innerhalb der nächsten fünf Jahre vollständig zum Umkippen bringen könnte.
Gigantische Umweltinvestitionen geplant
In seinem jüngsten Weißbuch zur Umweltpolitik räumt China nun erstmals ein, seine zunehmende Umweltverschmutzung nicht in den Griff zu bekommen: "Die jährlichen Kosten der ökologischen Zerstörung sind bereits so hoch wie das Wirtschaftswachstum", heißt es dort. Die Schäden werden auf jährlich etwa 250 Milliarden Euro geschätzt. Die chinesische Regierung will daher nun ihre Umweltauflagen ganz nach vorne auf die Prioritätenliste setzen. Laut jüngstem Umweltplan von Premier Wen Jiabao sollen bis 2010 verseuchte Regionen gesäubert und weitere Verschmutzungen verhindert werden.
Doch in China blüht auch die Korruption. Fließt Bares von den mächtigen Unternehmern, werden bei den Abgaskontrollen nicht selten beide Augen zugedrückt. Auch die Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Bauern werden enteignet, zum Teil nicht entschädigt, so etwa beim Bau des gigantischen Drei-Schluchten-Staudamms, der mit seinen 26 Riesenturbinen ab 2008 soviel Strom wie 14 Kernkraftwerke insgesamt liefern soll.
Bis zum Jahr 2020 will die Regierung auch 180 Milliarden Euro für erneuerbare Energien ausgeben. Zehn Prozent der Gesamtenergie sollen bis dahin aus den so genannten "Renewables" - Windkraft, Solarenergie, Biomasse oder Erdwärme - gewonnen werden. Aber auch 32 neue Atomkraftwerke sind in Planung. Noch gigantischer ist der Ausbau der Wasserkraft. Im Süden des Landes sind weitere Superstaudämme geplant - noch bombastischer als das Drei-Schluchten-Projekt.
Energiesparen ein Fremdwort
"Wir wollen unsere wirtschaftliche Entwicklung in einen umfassenden und kontinuierlichen Entwicklungspfad lenken. Dadurch soll schnell das Wirtschaftswachstumsmodell verändert und Energiesparen zum nationalen Ziel erklärt werden", betont Chinas Umweltminister Zeng Pei Yan. Statt nach immer neuen Energiequellen zu suchen, sollte man zu einfacheren und umweltverträglicheren Mitteln greifen, rät auch Edgar Endrukaitis von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit: "Ich glaube, das größte Ziel sollten Energieeinsparungen sein. Nur so können die CO2-Emissionen sehr kurzfristig reduziert werden. Das ist bestimmt leichter zu erreichen, als die gesamten Energiestrukturen zu verändern."
Doch Energiesparen haben die Chinesen bisher kaum gelernt. Endrukaitis dazu: "Die Bevölkerung beachtet das einfach nicht. Zum Beispiel an den Schulen. Obwohl die Sonne scheint, brennt das Licht. Bei den Straßenlaternen ist es oft genauso. Ich glaube, dass die Regierung der Energieverschwendung jetzt zwar größere Bedeutung beimisst, aber es gibt zuwenig Informationen für die Bevölkerung", beklagt er.
Auch die schlechten Hausisolierungen laden nicht gerade zum Sparen ein, denn insgesamt 95 Prozent aller Gebäude im Reich der Mitte sind nicht nach energiesparenden Kriterien gebaut. Während im Winter die Heizung nach draußen heizt, gleichen im Sommer die Gebäude einer Sauna. Ohne Klimaanlage könnte hier niemand arbeiten. Wenn aber alle Anlagen gleichzeitig eingeschaltet werden, bricht in ganzen Stadtvierteln das Stromnetz zusammen.
Problem Wasserknappheit
Auch die Wasserversorgung ist höchst gefährdet. Während im Süden Chinas jedes Jahr Menschen bei Überschwemmungen ums Leben kommen, herrscht im Norden Wasserknappheit. Deswegen hat die chinesische Regierung ein Gesetz erlassen, dass Wasserverschwendung verbietet. Nur darüber, dass die Gesetze auch eingehalten werden, wacht kaum jemand.
Betroffen von der Wasserknappheit sind nicht nur die ohnehin von Dürre bedrohten Regionen in der Nähe der Wüsten, sondern auch der Ballungsraum Peking. So erlebt die chinesische Hauptstadt in diesem Jahr die größte Trockenheit seit mehr als 50 Jahren. Wissenschaftler prognostizieren, dass Peking mit seinen derzeit etwa 19 Millionen Einwohnern bis zum Jahr 2010 ernsthafte Versorgungsprobleme haben wird.
"Spart Wasser zum Nutze des Volkes", wurde in großen leuchtend blauen Schriftzeichen auf Plakate gedruckt, die überall an Häuserwänden hängen. Doch wer nicht direkt von einem Umweltdesaster betroffen ist, kümmert sich wenig darum und will lieber am boomenden Wirtschaftsaufschwung teilhaben. In Peking werden die Straßen regelmäßig abgespritzt, in den Vorgärten der Reichen läuft den ganzen Tag die Rasensprinkleranlage, Sparsysteme werden kaum benutzt, Toilttenspülungen laufen pausenlos, und Wasserhähne tropfen. Fragt sich nur, wie lange noch.
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