Oskar Negt, deutscher Sozialphilosoph
Die Intellektuellen und die Macht
Er bekennt sich immer noch zum Marxismus. Allerdings sieht er ihn als Theorie, die nicht in die Praxis umgesetzt werden sollte, sondern nur der Orientierung diene: Oskar Negt, deutscher Sozialphilosoph und ein Wortführer der Außerparlamentarischen Opposition.
8. April 2017, 21:58
"Macht macht dumm und blind", sagt Oskar Negt.
Oskar Negt wurde 1934 in eine ostpreussische Bauernfamilie geboren. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen, Soziologie und Philosophie in Frankfurt, war Negt später Assistent von Jürgen Habermas. Er wurde einer der Wortführer der APO - der Außerparlamentarischen Opposition - und ein wichtiger Vordenker und Mentor der 1968er Bewegung.
Der Wissenschafter Negt arbeitete aber immer auch in der Praxis: die Glockseeschule in Hannover, 1972 von ihm mit gegründet und wissenschaftlich als Alternativprojekt begleitet, ist heute noch erfolgreich.
2002 emeritierte Negt als Professor an der Universität Hannover mit seiner Abschiedsvorlesung: "Kant und Marx - ein Epochengespräch"
Oskar Negt im Zitat
Im Gespräch mit Doris Stoisser erzählt Oskar Negt unter anderem von den - wie er es nennt - "Glückskonstellationen" seines Lebens:
"Wir waren sieben Kinder: fünf Schwestern, ich der Jüngste. Das ist mir sehr zugute gekommen. Das heißt, ich hatte nicht eine direkte Beziehung zur Mutter, sondern ich hatte eigentlich immer eine ältere Schwester, die sich mütterlich mir gegenüber verhalten hat. Das war besonders wichtig auf der Flucht. Ich bin mit elf Jahren mit zwei älteren Schwestern nach Berlin voraus geschickt worden. Wir kamen aber nicht mehr aus Königsberg raus, weil der Ring der Russen schon geschlossen war. Und mit diesen zwei Schwestern bin ich noch mit letzten Schiffen, wenige Tage vor dem Untergang der "Gustloff", nach Gotenhafen und dann nach Dänemark gekommen. Ich war dann zweieinhalb Jahre in Dänemark im Flüchtlingslager und habe eigentlich keine Schule gehabt. Aber sehr viel Möglichkeiten, selber was zu gestalten.
Zum Beispiel war ich beteiligt an dem Aufbau eines kleinen Handwerksbetriebes, der Spielsachen für Kinder produzierte. Ich selber war erst 12, ich habe mir aber einen Anerkennungskreis geschaffen. Wir drei Leute, die da produzierten, hatten ein so hohes Ansehen, bei Kindern und Eltern, dass mich das sehr gefördert hat, obwohl ich überhaupt gar keine Schule hatte.
Und so geht es ein bisschen weiter. In Oldenburg treffe ich auf einen ganz schrecklichen Lehrer, Mathematik und Physik, mit dem Namen August Hagen. Und der war auch dem Siegfriedmörder sehr ähnlich. Aber trotzdem, nachdem ich einmal gefragt wurde "Negt, was bewegt sich da so in Ihrem Kopf?", habe ich gesagt: "Ich glaube, Herr Oberstudienrat, die Physik und Mathematik, die Sie hier lehren, ist falsch. Ich beschäftige mich im Augenblick mit Goethes Farbenlehre, und der setzt sich mit dieser Physik auseinander." Es war absolutes Stillschweigen in der Klasse, und ich dachte, jetzt donnert er los. Nein, er rief mich zwei Tage später in den Klassenraum und sagte: "Wenn Sie denn das alles für falsch halten, was ich hier mache, dann machen Sie doch eine Jahresarbeit über Goethes Farbenlehre. Ich stelle Ihnen die Prismen zur Verfügung, die Goethe verwandt hat." Und ich habe diese Arbeit geschrieben und damit praktisch mein Abitur gemacht. Zweite Glückskonstellation.
Und noch eine: Ich komme zu Horkheimer und Adorno und studiere dort, promoviere bei Adorno. Und vor der Promotion kommt Habermas auf mich zu und sagt "Wollen Sie nicht bei mir Assistent werden?" Das sind zusätzliche und sehr wichtige Anstöße: Grundmotivationen, die man vielleicht in der Familie bekommen hat, wirklich zu verlebendigen. Und solche Dinge wie Schule, gewerkschaftliche Bildungsarbeit dann auch fortzusetzen."
Mehr zu Adorno und Horkheimer in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 21. September 2006, 21:01 Uhr
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Uni Hannover - Oskar Negt
Glockseeschule