"Den echten Herrn Karl hätte uns kein Mensch geglaubt"

Die Vorbilder des "Herrn Karl"

Für die Figur des Herrn Karl gab es konkrete Personen als Vorbilder. Einiges, was diese Herren erzählten, wurde aber vom Autoren-Duo Merz und Qualtinger entschärft. "Den echten Herrn Karl hätte uns kein Mensch geglaubt", so Qualtinger.

"Es is ja auch vü a größere Hetz, waunn kane Frauen san. Da hat ana imma gsagt: Geh heast, die Türkenbana soin hamgehn. Ja, hm. San Sie scho verheirat? Naja, ans sog i ihnen: Waunn ich ein reicher Mann wäre, i tätat net heiraten. Ich tät nicht heiraten. Weu waunn i kraunk bin und so weiter, na daunn hol i mir a Rote-Kreiz-Schwesta, diplomiert, die genau waß, wos i brauch und wos i saufn soi, ned, do brauch i ka Frau ned, ned? Und waunn i schuastern wü, nau do kriag i imma a fesches Weib, ned, waunn i großzügig bin, ollaweu. Und ob mich die irrsinnig liebt oda ned - des is eher unangenehm, kaunn ich ihnen sogn, maunchmoi, waunn a Frau so hängt."

Eine Passage aus dem "Herrn Karl"? Ein Teil des Monologs, den Carl Merz in letzter Minute doch wiederum strich, so dass er bis jetzt unbekannt blieb? Nein, so sprach Hannes Hofmann knapp vor seinem Tod in einem Interview mit dem Schriftsteller Georg Biron. Wenn man das nicht nur liest, sondern auch akustisch wahrnimmt - es war in einer "Tonspuren"-Sendung zu hören - stellt man fest, dass dieser Hannes Hofmann genauso moduliert, phrasiert, Pausen setzt und zwischen Dialekt und Schriftsprache wechselt, wie Qualtinger das im "Herrn Karl" macht.

Aufs Maul geschaut

Hofmann war der Wirt des legendären Gutruf. Das Gutruf (heißt noch heute so) in der Milchgasse hinter der Wiener Peterskirche war ursprünglich ein Lebensmittelgeschäft, das aber - ohne Konzession - Getränke ausschenkte. Es war in den 1950er und 1960er Jahren Treffpunkt einer eigenartigen Wiener Szene, hier verkehrten Schauspieler und Schriftsteller, Journalisten, Halbwelt und hochrangige Polizeibeamte. Das Gutruf war ein Ort berühmter Besäufnisse, Qualtinger war einer der Stammgäste und schaute dem Wirten Hannes Hofmann aufs Maul. Hofmann: "Die hom imma gern zuaghert, waunn i wos dazöht hob, wos i do olles erleb."

Der Fleisch gewordene Wiener Opportunist, der selbstgerechte Hausmeister-Typ voll bestialischer Gemütlichkeit, der Herr Karl, hatte noch weitere konkrete Vorbilder, über die der Schauspieler und Kabarettist Nikolaus Haenel berichtet: "Vor der Vorstellung 'Dachl überm Kopf' im Neuen Theater am Kärntnertor trafen Qualtinger und ich uns öfter im 'Top - Spezialitäten aus aller Welt', Ecke Führichgasse-Tegethoffstraße. Geschäftsführer der Delikatessenabteilung zu ebener Erde war ein alter Schulfreund Qualtingers, Helmuth Hoffmann, den anderen Teil des Geschäftes führte die Chefin, die Frau Baronin. Im Keller, durch eine eiserne Wendeltreppe zu erreichen, war das Lager."

Nebenbei: Auch im Gutruf war das Lager im Keller und durch eine ähnliche Treppe mit dem Verkaufsraum verbunden, also selbst das Bühnenbild des Herrn Karl hatte reale Vorbilder.

Vom Herrn Max zu Haenel zu Qualtinger zu Merz

Als Nikolaus Haenel nach dem "Dachl überm Kopf" kein Engagement hatte, übernahm er über Vermittlung Qualtingers für drei Monate eine Arbeit als Geschäftsdiener im Top. In der letzten Woche seiner Beschäftigung sollte Haenel einen Nachfolger einschulen, Herrn Max: "Der Herr Max war an der Arbeit, die der Geschäftsdiener zu verrichten hatte - also Lagerbestände prüfen, das Nachfüllen der Regale im Geschäft, den Boden aufwischen, die Bestellzettel ausfüllen, Bestellungen in zwei riesigen grauen Leinentaschen austragen, nicht sehr interessiert und begann, dem jungen Studenten, der ihm das alles beibringen sollte, also mir, lieber sein Leben zu erzählen. Er war ein sehr schmaler, kleiner Mann mit einem deutlichen Führer-Schnurrbart. Mir erschien er uralt."

Herr Max erzählte bereitwillig, dass er NS-Parteigenosse gewesen sei - "war so, wie wenn ma heut in da Gewerkschaft is". Da Haenel wusste, dass Qualtinger auf der Suche nach einer Figur war, die man als alten Nazi hätte bezeichnen können, rief er Qualtinger an und traf sich mit ihm tags darauf im Halali am Neuen Markt (heute heißt das Lokal Ferdinandt). Dort erzählte und spielte Haenel vor, was ihm Herr Max im Laufe des Tages erzählt und vorgespielt hatte.

Haenel: "Im selben Haus, in dem das Top war, wohnte Carl Merz im ersten Stock. Der Qualtinger ging am nächsten Tag mittags zum Merz und erzählte dem Merz in die Maschine die Geschichten, die ich ihm am Abend vorher vorgespielt hatte. Und zur gleichen Zeit erzählt im Keller unten der Herr Max mir wieder neue Kapitel aus seinem Leben."

Uraufführung im Österreichischen Fernsehen

Die Uraufführung des "Herrn Karl" fand am 15. November 1961 in der Inszenierung von Erich Neuberg im Österreichischen Fernsehen statt. Dem "Spiegel"-Reporter Martin Morlock erzählten Haenel und Qualtinger im März 1962 von der Vorbildfigur Max - dort gaben sie ihr allerdings den Decknamen Josef - und wie sie diese eigentlich entschärft hatten.

Qualtinger im "Spiegel": "Den echten Herrn Karl hätte uns kein Mensch geglaubt." So entfiel Herrn Max'/Josefs Geschichte, wie er seine Ehefrau gewürgt hatte, weil sie sich mit seiner Rasierseife die Hände gewaschen hatte. Er hält sie für tot, will seine Koffer packen und zu seiner Mutter ziehen. Da erwacht die Totgeglaubte, bittet ihn um Verzeihung - "Oba i bin hoat gebliebn."

Service

Hör-Tipp: Hofmanns Erzählungen. Gibt es den "Herrn Karl" wirklich? Feature von Georg Biron.
Tonspuren, Montag, 7. November 2011 und
Tonspuren dacapo, Donnerstag, 10. November 2011

Österreichisches Kabarettarchiv - Helmut Qualtinger