Botschaften in antikem Wohnkomplex

Wenn Wände erzählen

Graffiti, bunte Schriftzüge und Bilder, die mit Sprühfarben ungefragt und spontan vorwiegend an Wänden angebracht werden, sind kein neues Phänomen. Schon unsere frühesten Vorfahren haben Wände für Botschaften verschiedenster Art benutzt.

Höhlenzeichnungen zeugen ebenso davon wie jene gepinselten, gekritzelten oder auch sorgfältig geritzten Gemütsäußerungen, die bei Ausgrabungen in antiken Städten gefunden wurden, zum Beispiel in Ephesos, das seit 1895 Grabungsort des Österreichischen Archäologischen Instituts ist.

Ephesos, in der heutigen Türkei, war im Altertum eine der bedeutendsten Städte Kleinasiens. Von den Archäologen wurden mittlerweile große Bereiche der Stadt freigelegt: neben öffentlichen Bauten auch eine Reihe von Privatgebäuden mit Mosaiken und Wandmalereien. Und auf diesen Wandmalereien finden sich sehr häufig auch Graffiti.

An die 600 davon entdeckten die Forscher in einem vornehmen Wohnkomplex, der bei einem Erdbeben verschüttet und danach nie mehr vollständig genützt wurde.

Graffiti in Bild und Text

An den Wänden finden sich bildliche Wiedergaben von Personen, Tieren und Gegenständen, aber auch geometrische Zeichnungen. Eine zweite Gruppe bilden Graffiti mit Text, wobei der Großteil davon in griechischer Sprache abgefasst ist.

Die verwendeten Schriftarten sagen viel über die Schreiber aus: sie reichen von krakeligen Anfängerübungen bis hin zu sehr gewandten Schriften, die mit den Kursiven in den Papyri vergleichbar sind. Gemalte Graffiti, die so genannten "Dipinti", sind in Ephesos die Ausnahme, die meisten Graffiti sind in die Wände geritzt.

Im Gegensatz zu den Stein-Inschriften, die für die Ewigkeit bestimmt waren und meist rechtlichen Charakter hatten, dokumentierten die Graffiti das Alltagsleben und entstanden meist aus einer Laune heraus.

Spontane Lebensäußerungen

Ästhetische Absichten verfolgten die antiken Graffiti nicht. Ebenso wenig waren sie Ausdruck des Protestes, wie heute. Was sich an den Wänden am häufigsten findet, sind Trinksprüche, Huldigungen an spendable Gastgeber oder simple Namenseinritzungen, um sich allein oder als Liebespaar zu verewigen.

Es wurde aber natürlich auch weit Pragmatischeres in Wände geritzt: Handwerkerrechnungen zum Beispiel oder haushaltliche Ausgabenlisten. Durch Posten, die immer wieder auftauchen, weiß man, was im antiken Warenkorb gehobener Schichten so alles drinnen war. Außerdem lassen sich durch Graffiti Wandmalereien und Ausgrabungsfunde genauer datieren.

In den Räumen des untersuchten Wohnkomplexes in Ephesos finden sich Wandmalereien in bis zu sieben Schichten übereinander. Durchschnittlich - so schätzen die Forscher - ist jede dieser Schichten mindestens zwanzig Jahre in Verwendung gewesen. Waren die Wände für verschiedene Menschen zugänglich, kam es dort auch zu einer Häufung von Graffiti.

Verborgene Botschaften

Den Forschern war bislang nur die oberste, also die späteste Schicht zugänglich. Die entdeckten Graffiti stammen zum größten Teil aus der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts nach Christus. Ob irgendwann auch die älteren Schichten freigelegt werden, hängt von der Zustimmung der türkischen Antikenbehörde ab.

Die 600 bisher entdeckten Graffiti sollen bis zum nächsten Jahr vollständig entschlüsselt und dokumentiert sein.

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Dimensionen, Freitag, 13. Oktober 2006, 19:05 Uhr

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