Nonkonformisten, Querdenker und Ketzer

Vor den Toren des Elfenbeinturms

Viele bedeutende Wissenschaftler konnten ihre revolutionären Ansätze häufig nur gegen den erbitterten Widerstand von etablierten Kollegen durchgesetzten. So wurde Galilei auf Grund seines Kopernikanismus nicht nur von der Kirche zum Ketzer abgestempelt.

Die Geschichte der Wissenschaft lässt sich auch als eine Kette von Fehlurteilen renommierter über weniger arrivierte Kollegen und ihre revolutionären Denkansätze lesen.

Galilei wurde auf Grund seines Kopernikanismus nicht nur von der Kirche, sondern auch von Wissenschaftlern aus Pisa und Florenz zum Ketzer abgestempelt. Die französischen Mathematiker Cauchy und Poisson machten keine gute Figur, als sie die Gruppentheorie ihres Landsmanns Galois für unverständlich erklärten. Und in der Geologie ist die Plattentektonik erst 1980 akzeptiert worden, genau 100 Jahre nach der Geburt ihres Erfinders Alfred Wegener.

Vom Außenseiter zum anerkannten Vertreter

In den meisten Fällen wurden die Außenseiter später "ordentliche Vertreter" des wissenschaftlichen Establishments. Das berühmteste Beispiel ist Albert Einstein. Obwohl schon in Tuchfüllung mit dem akademischen Betrieb, entwickelte er 1905 als kleiner Angestellter des Berner Patentamtes seine Spezielle Relativitätstheorie.

Einstein ist jener Typ des Außenseiters, der mit seinen revolutionären Ideen solange als fachkundiger Häretiker gilt, bis sich seine neuen Erkenntnisse in der Scientific Community durchsetzen. "Wenn du ein wirklicher Wissenschafter werden willst, denke wenigstens eine halbe Stunde am Tag das Gegenteil von dem, was deine Kollegen denken", sagte Einstein.

Originelle Ketzer

Neben den inneruniversitären Häretikern gibt es die originellen Ketzer vor den Toren des Elfenbeinturms. In dieser Akademie der Ausgeschlossenen sammeln sich die "methodischen Analphabeten". Natürlich kommt es vor, dass sich die etablierte Wissenschaft auch bei diesen echten Außenseitern in ihrem Urteil irrt: So passiert 1901, als dem Italiener Giugliemo Marconi - Ingenieur und studierter Physiker, aber hauptsächlich doch Geschäftsmann - die erste transatlantische Radiowellenübertragung gelang.

Unmöglich, hatten der deutsche Physiker Heinrich Hertz und der französische Mathematiker Henri Poincaré damals behauptet, weil die Reichweite von Radiowellen nur 300 Kilometer betragen konnte und sich die Radiowellen aufgrund der Erdoberflächenkrümmung im Raum verlieren mussten. Ein Irrtum. Heute verdanken wir die Existenz des Radios dem Experiment des Außenseiters und späteren Nobelpreisträgers Marconi.

Ein Wettstreit unter unterschiedlichen Bedingungen

Nach Pierre Bourdieu bestimmt die Position eines Wissenschaftlers im hierarchischen System des Wissenschaftsbetriebes auch dessen Forschungsstrategie. Der Außenseiter wird "aus Not innovativ", während der etablierte Wissenschafter sich häufig konservativ verhält und eher danach trachtet, den Wert seiner Investitionen zu zementieren und daher - strukturell gesehen- gar kein Interesse an grundlegenden Neuerungen entwickeln kann.

Wissenschaft wird auch zunehmend ein teureres Unternehmen. War es früher wie im Fall Charles Darwin noch möglich, als betuchter Privatmann seine Forschungen zu betreiben, ist das im modernen Wettstreit der Ideen aussichtslos geworden. Die Chancen stehen in den billigeren Geisteswissenschaften allerdings um einiges besser als in den kostenintensiveren Naturwissenschaften.

Das gilt auch für Außenseiter innerhalb der universitären Forschung. Wissenschaft ist heutzutage auch in erster Linie Teamarbeit - vor allem in den Naturwissenschaften. Selbst hinter prämierten Nobelpreisträgern stehen zumeist ganze Korps von Wissenschaftlern. Der Außenseiter ist zumeist ein Einzelkämpfer, der gegen diese Forschergruppen kaum konkurrieren kann.

Wer soll unterstützt werden?

Für den Staat stellt sich letztlich die Frage, ob man die außeruniversitären Außenseiter stärker am Topf der öffentlichen Forschungsgelder mitnaschen lassen soll. Der englische Wissenschaftler Rupert Sheldrake hat vorgeschlagen, dass man ein Prozent der Forschungsausgaben an Amateurforscher und echte Außenseiter vergeben sollte.

Ein Forscher wie Darwin, der ohne akademische Position und staatliche Mittel arbeitete, hätte unter heutigen Bedingungen seine Evolutionsforschung wohl nicht betreiben können, argumentiert Sheldrake. Andererseits selektiert das etablierte Fördersystem törichte Theorien einzelner Wirrköpfe. In diesem Punkt gehen die Meinungen auseinander.

Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 12. September 2006, 19:05 Uhr

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