Alt genug für junge Sounds
Die Pop-Welle in der improvisierten Musik
Purismus ist out: Der aktuelle Trend im Jazz, Pop-Songs der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit zu covern und somit dem "Great American Songbook" frisches, aktuelleres Material entgegen zu setzen, ebbt nicht ab. Ein Blick auf neue CDs.
8. April 2017, 21:58
Miles Davis spielt Cindy Laupers "Time After Time"
"Led Zeppelin ist natürlicher Teil meiner Jugend. Für mich war diese Musik immer nah am Jazz: durch die langen Improvisationen, die Bezüge zum Blues und die oft komplexe Harmonik", erzählt Franck Tortiller, der hierzulande durch seine langjährige Mitwirkung im Vienna Art Orchestra bekannte Vibrafon-Virtuose aus dem Burgund, auf die Frage der Beweggründe hinter seinem "Close To Heaven" betitelten Led-Zeppelin-Projekt. Es ist das erste in seiner Funktion als Leiter des Orchestre National de Jazz.
Tortiller erzählt damit Wesentliches in Bezug auf den seit den 90er Jahren immer stärker werdenden Trend der sukzessiven Offenheit zwischen den ehemals distanziert einander gegenüberstehenden Welten von Pop und Jazz. Denn trotz der Rock-Jazz-Welle der 1970er Jahre beargwöhnten Fans beider Lager das jeweils andere als kommerziell bzw. elitär, selbst Miles Davis musste noch Mitte der 1980er harsche Kritik für seine Cover-Version von Cyndi Laupers "Time After Time" einstecken.
Prozess der Umdeutung
Heute ist davon nichts mehr zu spüren. Einerseits wohl dank der geringeren sozialen Codierung kultureller Genres, der damit verbundenen Durchlässigkeit den Lagergrenzen und dem Prozess der Umdeutung des Bourdieu'schen Begriffs des "kulturellen Kapitals": Solches gewinnt heute nicht mehr der, der sich allein in hochkulturellen Sphären bewegt, sondern der, der möglichst viele hoch- wie populärkulturelle Genres überblickt.
Mit anderen Worten: Purismus ist out. Hinzu kommt, dass die junge Musiker-Generation heute ganz selbstverständlich auf eine hybride Sozialisation zwischen Jazz, Pop und klassischer Musik verweisen kann und dies nicht verleugnen will - wo doch das Jazzrepertoire, das noch immer auf den populären Melodien der 20er bis 40er Jahre basiert, dringend einer Erneuerung, einer Blutauffrischung bedarf.
Monty Alexander covert Bob Marley
Also wird heute (auch) im Jazz gecovert, was das Zeug hält: "Jazz Goes Pop"-Sampler feiern Hochkonjunktur, Björk, Tom Waits und Radiohead sind mittlerweile ebenso wie die schon immer respektieren Götter Jimi Hendrix und Beatles gern gesehene Gäste im Jazzclub, ja es gehört beinahe schon zum guten Ton, die eine oder andere Cover-Version im Repertoire zu haben.
Selbst einige alt gediente Jazzer entdecken die Möglichkeit, Teile ihrer Kultur, die bisher unterrepräsentiert geblieben sind, zu reflektieren: Soeben hat Monty Alexander, die jamaikanische Pianisten-Legende, mit "Concrete Jungle" sein zweites der Musik Bob Marleys gewidmetes Album vorgelegt. Motto: Endlich alt genug, um sich jung geben zu dürfen.
Hör-Tipp
Jazztime, Dienstag, 12. September 2006, 21:28 Uhr
CD-Tipps
Franck Tortiller, "Close to heaven", Le Chant du Monde (Harmonia Mundi) CDM 083
Monty Alexander, "Concrete Jungle", Telarc B000EBG0CM
Links
Franck Tortiller
Orchestre National de Jazz
Monty Alexander