Letzte Erinnerungen vor dem Tod

Publizist und Historiker Joachim Fest gestorben

Der Publizist und Historiker Joachim Fest ist tot. Der langjährige Herausgeber der F.A.Z. starb am Montagabend im Alter von 79 Jahren. Einem breiten Publikum wurde er durch seine 1973 erschienene Hitler-Biografie bekannt.

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Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am Dienstag berichtete, starb ihr langjähriger Herausgeber am Montagabend im Alter von 79 Jahren. Dem breiten Publikum wurde Fest vor allem durch seine 1973 erschienene Hitler-Biografie bekannt, für die er zahlreiche Preise erhielt.

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Bemerkenswerte Autobiografie

Sein Buch "Ich nicht" ist nach Victor Klemperers Tagebüchern eines der bisher erschütterndsten literarischen Zeugnisse der moralischen Degeneration Deutschlands unter dem Hakenkreuz.

Es ist das Beispiel einer bildungsbürgerlichen Berliner Familie, die sich dem neuen Zeitgeist widersetzte - aus dem für sie ganz simplen, aber selbstverständlichen Grundsatz heraus, dass Anstand, Sitte und Bildung der einzige Maßstab für ein Leben in einer menschenwürdigen Gesellschaft sein können, mit welcher Ideologie auch immer.

Ducken, aber nicht kleinmachen
Unsittlichen Anfechtungen der "Verbrecherbande", wie Fests aus dem Lehrdienst entfernter Vater Hitler und seine Leute nennt, begegnet die Familie in einer Welt, in der dem "Volk der Dichter und Denker" der "politische Verstand abhanden gekommen ist", mit dem biblischen Grundsatz: "Auch wenn alle mitmachen - ich nicht!" Dem hat Fest auch seinen Buchtitel entlehnt.

Eine andere unumstößliche Devise, die das Familienoberhaupt seinen Kindern weitergab, lautete: "Man muss in bestimmten Verhältnissen manchmal den Kopf einziehen. Aber klein machen darf man sich deshalb nie!"

Manche Anfechtungen erreichen auch die Familie Fest. Als die Mutter, zermürbt von den Erniedrigungen durch die NS-Bonzen, dem Vater einen Parteieintritt "pro forma" nahe legt und in diesem Zusammenhang meint, die Unwahrheit sei doch immer das Mittel der kleinen Leute gegen die Mächtigen gewesen, entgegnet der Vater: "Wir sind keine kleinen Leute. Nicht in solchen Fragen."

Keiner will etwas geahnt haben
Seine Erinnerungen wollte Joachim Fest nicht als eine Geschichte der Hitlerzeit verstanden wissen, sondern als deren Widerspiegelung im familiären Umfeld und im (immer kleiner werdenden) privaten Freundeskreis. Dabei wusste er auch von der Erkenntnis Sigmund Freuds, die er im Nachwort erwähnt, dass die ungetrübte biografische Wahrheit "nicht zu haben ist".

Dennoch ist das Buch ein ebenso akribisches wie persönliches Zeitdokument, das sich streckenweise nicht ohne Frösteln liest angesichts der "Banalität des Bösen", das in die "heile Welt" hereinbricht, mit willfähriger Unterstützer aus bisher vertrauten Freundeskreisen und Nachbarschaften.

Manche von ihnen werden Fest gegenüber nach Kriegsende beteuern, nicht geahnt zu haben, wie verlogen und unmenschlich die Nazis waren. Zu einem von ihnen meinte Fest, man habe "nicht nur ahnen, sondern sogar wissen können", wenn man nur gewollt hätte, wie er es in seiner eigenen Familie erlebt hatte.

Und noch eine freiwillige Rekrutierung
Der Vater Johannes Fest sprach immer von "Bandenführer wie Hitler". Dazu melde man sich auch nicht freiwillig zum Wehrdienst, wie es der Sohn gegen Ende des Krieges zum Entsetzen des Vaters noch tut, um der SS zu entgehen.

Und noch einen anderen väterlichen Rat befolgt der Sohn später nicht: Der Historiker macht das "Gossenthema" Hitler, wie es der Vater nannte, zu einem Mittelpunkt seines publizistischen Schaffens, um den Ursachen und Folgen der Naziherrschaft auf die Spur zu kommen.

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können anlässlich des Todes von Joachim Fest noch bis 12. Oktober 2006 ein Gespräch im Download-Bereich herunterladen, das Fest im Jahr 1988 in der Sendung "Journal Panorama" zu seinem damals aktuellen Buch "Im Gegenlicht" geführt hat.

Buch-Tipp
Joachim Fest, "Ich nicht. Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend", Rowohlt Verlag, Reinbek 2006, 3498053051

Links
F. A. Z. - Joachim Fest
Rowohlt - Joachim Fest