Eine kurze Geschichte der Zeit
Als ich ein junger Mensch war
Mach Karriere in den Medien, hat man mir einmal gesagt. Man hat mir aber verschwiegen, dass bei meinen Interessen keine Karriere zu machen ist. Im Gegenteil: Wer sich beruflich mit Literatur befasst, muss sich an ein Dasein als Randexistenz gewöhnen.
8. April 2017, 21:58
Als ich ein junger Mensch war -
Nein, so geht das nicht! Ich präzisiere: Zu der Zeit, als eine Autostunde von mir daheim entfernt Josip Broz Tito starb, als in den USA Ronald Reagan zum 40. Präsidenten gewählt wurde, als die Verfilmung von Günter Grass' "Blechtrommel" mit einem Oscar ausgezeichnet wurde und ich sehr stolz darauf war zu kapieren, was mit der "Infantilität einer ganzen Epoche" gemeint war (hatte ich im "Spiegel" gelesen. Im "Spiegel"! Und das in einer Gegend, in der man in der Trafik genau zwei Tageszeitungen, drei Frauenmagazine und "PM - das interessante Magazin" kaufen konnte, ohne unter Ausländerverdacht zu geraten und als Folge davon gar nicht erst bedient zu werden); zu der Zeit, als in unserer Konditorei Besucher, die das Karawankendeutsche nicht oder nicht richtig beherrschten, von der Chefin mit einem harschen: "You want what?!" erschreckt wurden, um sich anschließend wieder vor der Tür zu finden, als Reinhold Messner allein und ohne Sauerstoffgerät den Mount Everest bezwang, als die Goombay Dance Band mit "Sun of Jamaica" das Monopol auf Strandbad- und Kegelbahnbeschallung hatte, als Buben hauptsächlich Dennis und Mädchen Stefanie getauft wurden, zu dieser Zeit war ich ein junger Mensch, der nicht so recht wusste, was er mit seiner Jugend anfangen sollte.
So.
Ich weiß nicht, ob das heute noch genauso gehandhabt wird, aber damals suchte ein älterer, mit einem karierten Sakko bekleideter Herr unsere Schule heim und gab sich als Berufsberater aus. Ja nun, sagte er und musterte die zukünftigen Werktätigen, die ihm am nächsten saßen, durch seine dicken Brillengläser, bald beginne der Ernst des Lebens. Man werde entlassen aus der Obhut von Schule und Familie und habe sich eine Ausbildung angedeihen zu lassen, die garantiere, dass man eher früher als später in der Lage sei, für sich selbst zu sorgen.
Aufgrund des Aussehens und der Sprechweise des Mannes erwartete ich mir ein Lob des öffentlichen Dienstes, doch nein, Medienberufe hätten Zukunft, verriet er uns und er schien es zu genießen, dass wir mit dieser kryptischen Prognose nichts anzufangen wussten.
Medienberufe also. Ich kenne ganze zwei Menschen aus jener Zeit, in der ich ein junger Mensch war, die heute noch als Medienarbeiter für sich selbst sorgen können. Einer hat es bis Graz geschafft und schreibt dort für eine Regionalzeitung. Und eine ehemalige Mitschülerin sitzt in der Villacher Lokalredaktion einer Zeitung, die in Klagenfurt hergestellt wird und muss unter anderem ergründen, warum eine unfruchtbare Frau, die sich auf den so genannten Keltenstein gesetzt hat, plötzlich schwanger werden konnte.
"Medienberufe haben Zukunft!" Sind wir damals einem Betrug aufgesessen?
Ich zum Beispiel bin Literaturkritiker geworden. Unter anderem. Vielleicht weil ich in der achten Klasse einmal ein Referat über Hermann Hesse gehalten habe. Aber gut, ich muss auch Kolumnen schreiben und aufwändige Dokumentationen produzieren.
Aber bleiben wir bei der Literatur, damit verbringe ich die meiste Zeit meines Lebens. Das heißt: Ich gehöre zu einer gesellschaftlichen Randgruppe. Da braucht mir keiner mit Zukunft zu kommen! Oder habe ich etwas verschlafen? Mein Job ist nicht einmal sexy, ich kann bestenfalls in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur damit angeben. Aber waren Sie schon einmal in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur? Eben.
Wenn man in die Lage kommt, sich medial mit Literatur zu beschäftigen, dann darf man sich bei der Verleihung der Goldenen Romy hinten anstellen. Aber selbst dort, wo man Rückhalt vermutet, wird man enttäuscht. Eine große österreichische Tageszeitung hat kürzlich untersucht, wie hoch der Anteil der Leser ist, die sich die Bücherseiten der Wochenendbeilage zu Gemüte führen. Der Wert von drei Prozent hat die zuständigen Redakteure erblassen lassen und deren Vorgesetzte auf die Idee gebracht, den literarischen Kleingartenverein aufzulösen. Weil es in Österreich zu einer lieb gewordenen Tradition geworden ist, die Mehrheit über das Schicksal von Minderheiten entscheiden zu lassen, ist die Zahl jener, die noch Literaturkritik betreiben, geringer als die Zahl jener, die sich um sieben Uhr morgens in eine Bahnhofsbuchhandlung verirren. Und die paar Versprengten finden im ganzen Land noch vier, fünf Redaktionen, in denen sie einigermaßen ernst genommen werden.
Demgegenüber steht die Millionenshow Frankfurter Buchmesse, aber da stehen auch Leipzig und eine unüberschaubare Zahl von Festivals, auf denen sich so viele Menschen tummeln, von denen man sich wünscht, sie würden Bücher auch kaufen und sich das ganze Jahr über für Literaturberichterstattung interessieren. Tun sie aber nicht. Weswegen Events nichts über den Zustand der Branche aussagen. Und der ist Besorgnis erregend. Man muss sich bloß einmal die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2006 ansehen, um auf einem Schlag dem Elend der Verlage und der Kritik ausgesetzt zu sein. Von kaum einem der genannten Bücher wird in zwei Jahren noch die Rede sein. Und das zu Recht. Weil die Verlage aus kurzfristigem Profitdenken die falschen Bücher publizieren. Und weil die Kritik nicht mehr leisten muss, als rasch einmal in knöcheltiefem Gewässer einen Tsunami zu prophezeien.
So viele Bücher und keine Literatur.
So viele Medien und keine Kritik.
Die Welt hat sich ganz schön verändert seit der Zeit, als ich ein junger Mensch war, als in den Wohnzimmern an Ernö Rubiks Zauberwürfel gedreht und in Las Vegas Larry Holmes Boxweltmeister im Schwergewicht wurde. Kein Berufsberater würde einem jungen Menschen heute eine berufliche Karriere in den Medien schmackhaft machen wollen. Und nicht einmal ein engagierter Deutschlehrer würde einem Schüler anraten, sich beruflich mit Literatur zu befassen. Ein paar von uns machen trotzdem weiter. Bis sie uns entsorgen. Und die Dichter dazu. Und wir singen das Lied von Queen (a propos: als ich ein junger Mensch war):
One by one
Only the Good die young
They're only flyin' too close to the sun
We'll remember -
Forever...