Ein spiritueller Sucher nach dem absoluten Klang

Zum 80er von John Coltrane

"Wie Bach und Mozart erhob Coltrane Musik aus dem säkularen in den Bereich ernster, religiöser Weltmusik", so Kollege Archie Shepp über den Meister des Saxofons, der nun 80 wäre. Zum Zeitpunkt seines Todes 1967 galt er als Führer der Jazz-Avantgarde.

Er galt als das unangefochtene Alpha-Tier der Jazz-Avantgarde und als spiritueller Sucher nach dem absoluten Klang - und zwar in einer Liga mit Miles Davis, Thelonious Monk und Charlie Parker: John Coltrane, der Saxophon-Titan, der 1967 mit knapp 41 Jahren starb und am 23. September 2006 nun 80 wäre.

Bis heute zählt seine Platte "A Love Supreme", quasi eine Jazzsymphonie, gespielt vom wahrscheinlich besten Kammermusikensemble, das der Jazz in den 1960ern hatte - John Coltrane, Tenorsaxophon, McCoy Tyner, Klavier, Jimmy Garrison, Bass und Elvin Jones, Schlagzeug - zu den bedeutendsten Statements, die die Improvisationsmusik der letzten 50 Jahre hervorgebracht hat.

Eine universale Botschaft

Sie taucht nicht nur in den Listen mit den besten Jazzplatten aller Zeiten regelmäßig unter den Top Ten auf, sondern schwindelt sich auch immer wieder in die ewigen Pop-Charts - als Quoten-Jazz für jene, die sich sonst mit drei Akkorden zufrieden geben.

"A Love Supreme" wird seit mehr als 40 Jahren als universale Botschaft gelesen, als Schrei nach Liebe und spiritueller Erhöhung, als Musik, die jenseits aller Stile und Genres allgemeine Gültigkeit und Aussagekraft beansprucht.

Meditation über den Tod der Unschuld

"'A Love Supreme' ist nicht nur ein wunderbares und unvergleichliches Stück Musik. Es ist auch eine profunde Meditation über den Tod der Unschuld und die scheinbar endlose Tragödie der Unmenschlichkeit. Coltrane behandelt dieses Thema mit all der Klarsicht eines wahren Künstlers und lässt uns so die Tragödie fühlen, aber in einer noch tieferen Schicht, auch die Hoffnung, die daraus entsteht", schreibt Coltrane-Biograph Eric Nisenson.

Mit neuen Musikern

Im Lauf seiner akustischen Expeditionen in immer entlegenere Klanggefilde verlor Coltrane nach und nach seine Mitstreiter aus den frühen 1960er n und machte mit Leuten weiter, von denen er glaubte, dass sie die Abenteuer in seinem Kopf besser in Schallwellen umsetzen könnten.

Dazu zählten Pharoah Sanders und Coltranes zweite Frau Alice am Klavier, die mit ihren perlenden Arpeggien offenere Klangräume entwarf, als der vergleichsweise konventionelle McCoy Tyner.

Rekord-Einspielungen vor Coltranes Tod

John Coltrane hatte zu diesem Zeitpunkt noch zwei Jahre zu leben. Er wusste, dass der Leberkrebs an ihm fraß - und deshalb musste nun alles doppelt so schnell, doppelt so intensiv durchgeführt werden. 1965 legte er eine rekordverdächtige Zahl von Alben auf. Neben "Kulu Se Mama" noch "Transition", "Infinity", "Ascension", "Sun Ship", "Meditations" und einige andere.

Viele dieser Platten operierten an der Lärmgrenze, mit Huplauten und Saxophonschreien, die im Exzess die Unendlichkeit anpeilen. Aber daneben gab es immer wieder auch Inseln der Ruhe und der Kontemplation. So z. B. auf der Platte "Stellar Regions", die im Februar 1967 - fünf Monate vor Coltranes Tod - aufgenommen, aber erst 1995 erstmals veröffentlicht wurde.

Hart erarbeitete Klang-Transzendenz

Mit "Stellar Regions" unternahm Coltrane eine Reise in die äußeren Zonen des Universums. Titel wie "Sun Star" oder "Transonic" zeigen, dass der Saxophonist, ähnlich wie sein Kollege Sun Ra, den Weltraum als Metapher für eine Expedition in die Tiefenschichten des eigenen Ich benutzte. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits nicht mehr ganz von dieser Welt.

Dass die Kritiker seine Musik niedermachten, das Publikum scharenweise aus seinen Konzerten floh, war ihm egal. Ihm ging es nur noch um die Sache: um das, was ein Kritiker einmal "supreme dissonance", also etwa: erhabene Dissonanz, genannt hatte. Coltrane wollte mit den Mitteln der Musik über die Musik hinauswachsen, sich einem Bereich annähern, der dem Menschlichen unerreichbar ist. Um das Ziel klanglicher Transzendenz zu erreichen, übte er ein Leben lang wie ein Besessener. "Er war zu 90 Prozent Saxophon", sagte seine erste Frau Naima einmal. Ihr hat er sein vielleicht schönstes Stück, auch nach ihr benannt, gewidmet.

Kreative Explosion in letzter Lebensdekade

Jazzkritiker und Musikanalytiker haben lange darüber spekuliert, warum jemand, der 30 Jahre eher unspektakulär verbrachte, in seiner letzten Dekade kreativ explodierte und zur unangefochtenen Lichtgestalt des Jazz der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden konnte. Eine umfassend befriedigende Erklärung dafür wird es wohl nie geben, aber zumindest einige Indizien, die das Wunder etwas weniger mystisch erscheinen lassen.

Es hat sicher mit seiner ersten Frau Naima zu tun, die ihm half, von seiner fatalen Heroinsucht loszukommen und mit dem gründlichen Kurieren seiner Zahnprobleme. Denn er hatte damals oft so heftige Schmerzen, dass er tagelang nicht üben konnte - was ihn, den notorischen Skalenfresser, besonders quälte. Auch die Konversion zum Islam mag eine Rolle gespielt haben.

Letzter Schliff durch Monk und Davis

John Coltrane galt in dieser Zeit als leicht verschlamptes Talent, als Mann, der über beachtliche Talente verfügte, dem aber noch der letzte Schliff fehlte. Zwei Musiker sollten dies gründlich ändern: der Klavier-Exzentriker Thelonious Monk und die Improvisations-Primadonna Miles Davis.

Mit ihnen nahm er spektakuläre Alben auf, wo er die neuerworbene Technik des modalen Spiels und seine so genannten "Sheets of Sounds" - beschleunigte Improvisationslinien, die zu Klangflächen verschleifen - luxuriös ausspielen konnte. Und mit Miles Davis gelang ihm ein Jahrhundertwerk, das ihn neben Sonny Rollins in die erste Reihe der Tenorsaxophonisten katapultierte: "Kind of Blue".

Harmonische Tour de Force "Giant Steps"

Jetzt, nachdem Coltrane sich endlich in die Premier League vorgekämpft hatte, ging es erst richtig los. Er experimentierte mit unterschiedlichen Musiker-Konstellationen, nahm die harmonische Tour de Force "Giant Steps" auf, die Generationen von Konservatoriums-Studenten zur Verzweiflung bringen sollte, und fand schließlich jene drei Kombattanten, mit denen er im John Coltrane Quartett zum Fackelträger des New Jazz wurde. Allerdings einer, der nie die Brücken zur Vergangenheit schliff: "Du musst auf die alten Dinge zurückblicken, und sie in einem neuen Licht betrachten", sagte John Coltrane einmal.

Hör-Tipps
Spielräume Spezial, Sonntag, 3. September 2006, 17:10 Uhr

Die Österreich 1 Jazznacht, Samstag, 23. September 2006, 22:35 Uhr

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