Annäherung an Jeanne d'Arc

Johanna

In ihrem neuesten Roman nähert sich die 46-jährige in Berlin lebende Schriftstellerin Felicitas Hoppe einer historischen Figur, von der man gemeinhin glaubt, über sie wäre schon längst alles gesagt: Johanna von Orleans.

Felicitas Hoppe: Mutmaßungen über Johanna

Welche gesicherten Daten gibt es über Jeanne d'Arc? Während des Hundertjährigen Krieges führt sie die Franzosen gegen die Engländer. Nach einem Verrat wird sie von den Burgundern gefangen genommen und an den Feind verkauft. In einem Aufsehen erregenden Prozess wird sie schließlich wegen "Verbrechen gegen die göttliche Majestät" zum Tode verurteilt und auf dem Marktplatz von Rouen auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

1909 wird Jeanne d'Arc selig, 1920 heilig gesprochen. Vor allem ihre göttlichen Visionen haben die Jungfrau von Orleans zum Mittelpunkt unzähliger literarischer Betrachtungen gemacht - von Shakespeare über Schiller bis George Bernard Shaw. Felicitas Hoppe, durchaus erfahren im Wiederbeleben historischer Persönlichkeiten, nähert sich dem berühmten Bauernmädchen emphatisch und beinahe frei vom geschichtlichen Kontext.

Eine mögliche Wahrheit

Alles beginnt ja, wie immer, im Kopf, und im Kopf ist es dunkel, vielleicht sogar finster, bis endlich einer kommt, der den passenden Lichtschalter findet. Natürlich, rief Peitsche, ein Fall für die göttliche Irrenheilkunde. Halluzinierte Geschichte, viel Hoffnung auf Heilung und ziemlich viel falsches Laternenschwenken, bis endlich ein Stein auf den anderen kommt.

Drei Personen, Doktor Peitsche, ein fanatischer Verehrer, ein schrulliger Professor, der mit gesicherten Daten und Fakten viele Heldensagen relativiert und die studierende Ich-Erzählerin machen sich gemeinsam auf die Suche nach einer möglichen Wahrheit. Im Hörsaal und auf Reisen zu den Original-Schauplätzen spürt das ungleiche Trio jedem Detail der unglaublichen Geschichte nach. Legenden werden beschworen, wie jene, die besagt, dass Johannas erster Spötter als Strafe in einen Brunnen fiel und dort ertrank, oder jene, die beschreibt, wie sich der Wind in der Schlacht um Orléans entscheidend zu ihren Gunsten drehte.

Geistige Verschmelzung

Felicitas Hoppes Annäherung an die große Johanna ist keinesfalls eine rein biografische, sondern vielmehr eine kryptisch-poetische. Während sich die Erzählerin auf ihre Prüfungen vorbereitet, verschmilzt sie immer wieder mit dem Geist der verehrten Person. Die Prüfungssituation selbst erinnert dabei an die berühmten Verhöre, in denen Jeanne d'Arc den dialektisch und rhetorisch geschulten Klerikern hoffnungslos unterlegen war. Wenn dann auch die Beweg- und Hintergründe historischer Mitstreiter und Gegner beleuchtet werden - etwa von Karl VII., Ritter Gilles de Rais, oder vom Verräter Loiseleure -, ergibt sich ein wunderbar rätselhafter Roman über Aufbegehren, Angst, Einsamkeit, Sehnsucht und Geschichte, die entsteht, wenn man erzählt.

Damen und Herren, die Wahrheit, was ist das? Johanna, Rose von Domrémy! Lieblingsrose historischer Gärtner! Eine Blume, die jeder im Knopfloch trägt und ganz nach Geschmack seinen Zwecken zuführt, weil sie auf jedem Schlachtfeld blüht. Gestern links außen und morgen weit rechts. Dazwischen ein kurzes Jungfrauenatmen, rastlos und unverwechselbar.

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 24. August 2006, 16:30 Uhr

Ex libris, Sonntag, 27. August 2006, 18:15 Uhr

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Download-Tipp
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Buch-Tipp
Felicitas Hoppe, "Johanna", S. Fischer Verlag, ISBN 3100324501