Verlassene Welten hinter den Bergen

Kroatiens Landwirtschaft im Umbruch

Die so genannten "neuen Bauern" in Kroatien interessieren sich nicht mehr dafür, ob die Tomaten riechen oder nicht. Sie sind bereits ganz auf Massenware ausgerichtet. Im Hinterland der touristisch hoch gerüsteten Küste schwinden die letzten Reste alter bäuerlicher Kultur.

Obwohl der Tourismus entlang der kroatischen Küste seine Wurzeln schon im 19. Jahrhundert hat, blieb sein wirtschaftlicher Anteil bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges weit hinter Landwirtschaft und Fischerei zurück.

Im sozialistischen Jugoslawien hat die Tourismus-Branche dann eine so rasche Entwicklung erlebt, dass sich nicht nur die Landschaft, sondern auch die Menschen und ihr Leben stark verändert haben. Waren früher noch 70 Prozent der Gesamtbevölkerung Bauern. Daraus hat sich heute eine Arbeiterschicht entwickelt, die vorwiegend in der Tourismusindustrie und den sie begleitenden Dienstleistungen beschäftigt ist.

Die Welt von gestern

Das Dorf Mravinjac liegt 23 Kilometer von Dubrovnik entfernt. Bei Kilometer 15 an der Adria-Bundesstrasse Richtung Split muss man abbiegen und die letzten acht Kilometer über eine steile, enge und kurvige Straße die Berge hinauffahren. Vom Dorf aus sieht man das Meer nicht mehr, und nichts deutet auf die touristische Hochsaison an der kroatischen Küste hin. Das Dorf präsentiert sich als Idylle aus alten Zeiten. Es gibt keinen Straßenverkehr, auf den ersten Blick auch keine sinnlos herumlaufenden Mengen von Touristen, und es scheint so, als wäre der Menschenfluss ständig auf der Suche nach etwas Unbestimmtem.

Wie viele Menschen in Mravinjac heute wohnen, ist schwer auszumachen. Nach der Rechnung des 80-Jährigen Stijepan Majkovica sind noch etwa 20 Häuser - eigentlich Bauernhöfe - bewohnt. Wenn man ihm glaubt, sollen etwa 40 Menschen darin wohnen, nach seinen Worten zwei in jedem Haus. Früher - so Stijepan - waren es pro Hof acht bis zwölf Menschen. Während er spricht, zeigt der alte Mann sein Gut, seinen Weingarten, seine Olivenbäume, Feigenbäume und sein Kartoffelfeld. Zwei große Kühe liegen im Schatten und erzeugen mit ihren Kuhglocken die einzigen Geräusche in dieser Gegend.

Die Tomaten des Stijepan Majkovica

Stijepan wurde in diesem Dorf nicht geboren. Er kam aus einem heute nahe liegenden Dorf, das sich gleich neben der Bundesstraße befindet. "Damals gab es verglichen mit heute eine andere Welt", erinnert er sich. Er ,beispielsweise, heiratete eine seiner beiden Cousinen und begann als einziger Mann in der Familie, die verlassenen Felder wieder zu beackern.

Während er Erinnerungen auffrischt, bleibt Stijepan bei einer Tomatenpflanze stehen und pflückt eine große, nicht gleichförmige, heißrote Tomate, riecht an ihr und fragt stolz: "Wonach riecht diese Tomate?“ Nach einer kurzen Pause gibt er selbst die Antwort: "Nach Tomaten!“

Seine Augen füllen sich mit Tränen. Mit einer breiten Handbewegung umkreist er sein Gut, das er mit seinen bloßen Händen sein Leben lang gepflegt hat. "Heute", sagt er weinend, "ist alles umsonst. Meine beiden Söhne wohnen in der Stadt und kommen nur am Wochenende zu Besuch. Sie haben ihre eigenen Familien gegründet; und obwohl sie mir noch immer bei der Feldarbeit zur Seite stehen, denken sie überhaupt nicht daran, ins Dorf zurückzukommen und hier zu leben."

Trost und Wein

Stijepan weiß, dass nach seinem Tod sein Lebenswerk in Vergessenheit geraten wird. Schon jetzt kann er das goldfarbige Olivenöl, seinen starken Rotwein und seinen Käse nicht nach dem wirtschaftlichen Preis verkaufen, der am Markt angeboten wird: "Die meisten Touristen an der Küste entlang finden keine Unterschiede zwischen seinen Produkten und den Massenwaren, die überall zum niedrigeren Preis zu kaufen sind", beschwert er sich.

Hinter vorgehaltenere Hand flüstert er - so dass seine Frau es nicht hören kann -, dass er trotz seines Alters und seinem schon schlechten Gesundheitszustand noch immer in der Lage ist, einen Liter seines selbst erzeugten Weines pro Tag zu trinken. Nach seinen Worten ist dieser Wein "reine Medizin".

Die neuen Wege

Im Gegensatz zu Stijepan haben nach und nach schlaue Geschäftsmänner solche Landgüter wie seines gekauft und nach neuen agrarischen Methoden bearbeitet. Indem sie mechanisch pflügen, senken sie dadurch die Marktpreise. Ob die nach diesen Methoden erzeugten Tomaten dann noch immer nach Tomaten riechen, interessiert die nach der Tourismusindustrie orientierten so genannten "neuen Bauern“ kaum mehr.

Dennoch: Es gibt noch immer viele Urlauber, die den Hauch vergangener Zeiten genießen wollen. Vielleicht werden wir daher in ein paar Jahren zwar keine riechenden Tomaten mehr haben, aber vielleicht übernehmen künftig als Bauern kostümierte Schauspieler Verkaufsjobs, um im Sommer zu Geld zu kommen.

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