Einbruch mit ungeahnten Folgen

Zauberer

In der Erzählung "Zauberer" sind Reales und Irreales eng miteinander verwoben. Die Versuche eines Buben im Volksschulalter, seiner nach einem Einbruch ruinierten Familie zu helfen, lässt vielfach offen, was Tagtraum und was Wirklichkeit ist.

Für die paar Stunden, die er allein zu Hause bleiben musste, wollte der fünfjährige Romek ganz brav sein, sich nur seinen Ausschneidebögen widmen. Und vor allem niemanden in die Wohnung lassen. Das hatte er seinen Eltern fest versprochen. Doch als dann seine Freundin Lala von der Straße herauf ruft, kann Romek der Versuchung nicht widerstehen.

Die Katastrophe nimmt ihren Lauf

Sein Versprechen hat er ebenso vergessen wie das Absperren der Türe - und das nutzen Einbrecher, um alles mitzunehmen, dessen sie habhaft werden können; nicht nur einige wertvolle familiäre Erinnerungsstücke, sondern vor allem auch zahlreiche Pelzmäntel, Anzüge und teure Kleider, die Romeks Eltern - beide Schneider - von Privatkunden zur Änderung übernommen haben. Allerdings ist das Geschäft illegal und steht - wie alle Privatunternehmen im Polen der 1950er Jahre, in denen der Roman spielt - unter schwerer Strafandrohung. Der Schaden kann also nirgends gemeldet werden und stellt für Romeks Eltern den wirtschaftlichen Ruin dar. Von einem Leben in bescheidenem Wohlstand sinkt die Familie sehr rasch in bittere Armut ab, der Vater beginnt zu trinken, die Mutter verfällt in Depressionen und Romeks ältere Schwester entwickelt sich von der Musterschülerin zum launischen Problemkind.

Niemand macht Romek Vorwürfe, denn keiner weiß, wie der Einbruch wirklich gelaufen ist: Er habe nur mal über den Gang aufs Klo müssen, hatte Romek erzählt, da seien die Einbrecher gekommen. Die schweren Gewissensbisse aber, dass er seine Familie ins Elend gestürzt habe, wird der Bub über Jahre nicht mehr los. Und er beschließt, die Sache wieder gut zu machen. Allerdings stehen ihm, in jenem Zeitraum zwischen seinem fünfte und seinem elften Lebensjahr, in dem der Roman spielt, dazu nur sehr begrenzte Möglichkeiten zur Verfügung.

Im Reich der Fantasie

Die Hoffnung, einem greisen Millionär auf irgendeine Weise das Leben retten zu können um dann zum Universalerben eingesetzt zu werden gibt Romek aus Mangel an Millionären bald wieder auf; die Idee, nach Schätzen zu suchen, die noch aus der Kriegszeit in unterirdischen Verstecken lagern könnten, ist auf Grund seiner Angst vor Dunkelheit nicht durchführbar; und auch der Verkauf von selbst gegossenen Bleifiguren, mit denen Romek bei seinen Schulkollegen zunächst einigen Erfolg hat, bringt finanziell nicht allzu viel ein.

Romek aber lässt sich nicht entmutigen. Immer wieder helfen ihm seine reiche Fantasie und seine starke Neigung zu intensiven Tagträumen über alle Rückschläge hinweg. In der Erzählung sind Reales und Irreales eng miteinander verwoben - und so wird zum Beispiel bei der Lektüre erst nach und nach klar, dass Romeks Mutter leider doch nicht in der Lotterie gewonnen hat. Hingegen erfasst der Leser um einiges schneller als der Protagonist, dass Romek nicht zum allseits bejubelten Jungstar der Warschauer Theaterszene avanciert ist.

Eine Art Entwicklungsroman

Das Wechseln zwischen den verschiedenen Wirklichkeits- und Erfahrungsebenen macht einen wesentlichen Teil der Faszination von Tomek Tryznas "Zauberer" aus. Das Buch lässt intensiv miterleben, wie sich ein heranwachsender Bub der Welt stellt, wie sich ihm neue Sichtweisen eröffnen, wie er sich psychisch und intellektuell weiterentwickelt. Und auch wenn es kein leichtes Schicksal ist, dem Romek ausgesetzt ist, so ist die Erzählung dennoch nie deprimierend, sondern stets packend, oft anrührend und vielfach auch komisch.

Es ist eine Art pikaresker Entwicklungsroman: Romek trifft auf die unterschiedlichsten Typen - von liebenswerten Käuzen bis zu korrupten und gefährlichen Widerlingen- und er hat eine Reihe von spannenden Abenteuern zu bestehen. Nur von sekundärer Bedeutung ist dabei, dass die Handlung im kommunistischen Polen der 1950er Jahre spielt.

Perspektivwechsel und Überblendungen

Bei einer strengen formalen Analyse könnte man kritisch anmerken, dass die Perspektive, aus der erzählt wird, unklar ist: Auf den ersten Blick scheint Romek die Ereignisse aus kurzer zeitlicher Distanz, als 14- oder 15-Jähriger zu erzählen. Dem entspricht die Erzählhaltung, nicht allerdings die Sprache, die in vielen Passagen auf einen viel älteren, abgeklärten Ich-Erzähler schließen lässt. Doch dies stört bei der Lektüre kaum und rührt vielleicht daher, dass Tomek Tryzna auch Filmemacher ist - und sich sein "Zauberer" mit dem vielfachen Perspektivenwechsel und den zahlreichen Überblendungen hervorragend für eine filmische Umsetzung eignen würde.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipp
Tomek Tryzna, "Zauberer", aus dem Polnischen übersetzt von Agnieszka Grzybkowska, Luchterhand Literaturverlag, ISBN 3630871836