Texte zur gegenwärtigen Befindlichkeit

Heimat. Lügen. Literatur.

Peter Huemer ist ein Intellektueller, der im Österreichischen Rundfunk jahrzehntelang die Diskussions- und Gesprächskultur entwickelt und fortentwickelt hat. Jetzt, in Pension, fasst er seine Gedanken zu "Heimat" und vielem anderen in Essays zusammen.

Gibt es eigentlich noch den Intellektuellen? Das ist diese menschliche Spezies, die sich durch halbwegs umfassende Bildung, Auffassungs- und Kombinationsgabe, analytisches Denken, Willen zum Engagement und die Fähigkeit, eine Meinung zu äußern und diese auch zu begründen, auszeichnet. Damit ist schon einiges über Peter Huemer gesagt.

Spuren der Kulturarbeit

Peter Huemer ist ein Intellektueller, der seine Berufung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum Beruf gemacht hat und dort jahrzehntelang die Diskussions- und Gesprächskultur entwickelt und fortentwickelt hat. Das hat einerseits wesentlich zur Identität des ORF beigetragen - zumindest in der Zeit, in der Peter Huemer aktiv war -, andererseits hat diese Kulturarbeit keine Spuren hinterlassen; Peter Huemer wurde gleich nach seiner Pensionierung in die Rundfunkgeschichte verbannt.

Das Publikum des Intellektuellen ist sehr klein, seine Wirkung ist gering. Das weiß auch Peter Huemer. Das könnte einen schwermütig machen und in die Sinnkrise stürzen. Das Geheimnis ist, sich von den Größenverhältnissen nicht beirren zu lassen. Haltung zu bewahren. Welcher Journalist leitet heute noch einen Satz mit "Ich behaupte" ein. Bei Peter Huemer findet man das oft. Aber nicht apodiktisch, sondern als Aufforderung: "Belehrt mich eines Besseren!" Das ist noch gelebte Dialektik: Rede und Gegenrede, kein Besserwissen, sondern ein Es-besser-wissen-wollen.

Den Begriff "Heimat" erträglich machen

Peter Huemer ist kein dogmatischer Linker, er ist ein Linksintellektueller mit bürgerlichem Fundament, kein Veränderungserzwinger und auch kein Kulturpessimist, der an die Unantastbarkeit der Macht glaubt. Er glaubt an eine Wahrheit hinter gesellschaftlichen und politischen Prozessen, die aus Machtinteressen verschleiert wird, die aber mit der Macht des Wortes sichtbar gemacht werden kann.

Das macht aber den Unterschied aus zwischen dem konservativen Verständnis von "Heimat" als Ort der Geborgenheit, der Unveränderlichkeit, der scheinbaren Ideologiefreiheit, und Peter Huemers Versuche, für sich den Begriff "Heimat" erträglich zu machen.

Wie und wo man’s auch anpackt: "Heimat" ist ein zerschundenes Wort, unendlich missbraucht, ein historisches Trümmerfeld, auf dem jeder sich bedienen kann. (...) "Heimat" ist nicht zu fassen, aber wir alle wissen dennoch, was "Heimat" ist. Weil "Heimat" ein Gefühl ist. Zuallererst.

Gegen das Paradies

"Heimat" hat für Peter Huemer als Kind der Nachkriegszeit aber auch mit der Erkenntnis zu tun, dass einem nicht Gott das Paradies schenkt, das von wohlwollenden Politikern verwaltet wird, sondern dass man sich gegen dieses Wohlwollen und gegen das Paradies stellt. Dass man versucht, Klischees zu zerstören und sich der historischen Wahrheit anzunähern, auch wenn diese Wahrheit eine hässliche ist.

Was ist aus meinem Patriotismus geworden? Er hat sich verändert. Wenn es in meiner Jugend geheißen hat "Wir Österreicher", dann war ich begeistert dabei. Später wollte ich wissen, wie der Satz weitergeht, der mit "Wir Österreicher" beginnt. Und heute, wenn's heißt "Wir Österreicher", weiß ich mit ziemlicher Sicherheit, dass ich nicht dabei sein will. Auch wenn ich einer bin.

Die Deutungshoheit der Politik infrage stellen

Im Prinzip geht es Peter Huemer um Ordnung. Nicht in einem hierarchischen Sinn, sondern als Gegengift zur Verschleierung. Es geht also um den Versuch, die Deutungshoheit der Politik und ihrer Trabanten, vor allem im Kulturbetrieb, infrage zu stellen. Deshalb sind die zentralen Figuren, um die Huemers Essays kreisen, unbequeme und nicht immer ernst genommene Intellektuelle der Zweiten Republik: Claus Gatterer, Erwin Ringel, Axel Corti oder Karl-Markus Gauß. Aufklärer in einer Gesellschaft, die mit dem Aufgeklärtwerden keine Eile hat.

Gatterer, Ringel und Corti sind tot, Gauß schreibt noch, Huemer hat den Rundfunk als Bühne verloren. Damit sind wir wieder bei der eingangs gestellten Frage: Gibt es eigentlich noch den Intellektuellen? Antwort: Ja, allerdings nicht mehr als Teil entscheidungstragender und meinungsbildender Institutionen, sondern als Teil unabhängiger Netzwerke. Dieser "kollektive Intellektuelle", wie ihn Pierre Bourdieu einmal genannt hat, "der aus der weltweiten Koordination und disziplinübergreifenden Praktiken hervorgeht, kann allein jene geistig-moralische Gegengewalt zu den neuen nationalen und transnationalen Mächten hervorbringen, der die postmoderne Gesellschaft notwendigerweise bedarf." In diesem Sinne kann man auch die Arbeit von Peter Huemer verstehen.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Peter Huemer, "Heimat. Lügen. Literatur. Texte zur gegenwärtigen Befindlichkeit", Verlag Der Apfel, ISBN 385450165X

CD-Tipp
Peter Huemer im Gespräch, Vol. 4

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