Ein Lokalaugenschein in New Orleans

Ein Jahr nach "Katrina"

Mehr als 1.300 Tote, unermesslicher Sachschaden, der Untergang New Orleans, der traditionsreichsten Stadt des Südens: Der Hurrikan "Katrina" schlug schwere Wunden. Auch ein Jahr danach sind bei weitem nicht alle vernarbt.

Eine Busfahrt durch die ehemalige Jazzmetropole

Wer in New Orleans wohnt, ist an Hurrikans gewöhnt. Jedes Jahr packen die Einwohner ein paar Mal das Nötigste und evakuieren. Nach ein paar Tagen kehren sie wieder zurück. Der Windschaden ist bald behoben. Es hat etwas von einem Ritualcharakter.

Doch mit Hurrikan "Katrina" kam alles anders: Als der Wirbelsturm in den frühen Morgenstunden des 29. August 2005 östlich der Stadt auf die Küste von Louisiana traf, brachen nur wenige Stunden später die Dämme. Die Folge: die größte Naturkatastrophe in der Geschichte der USA.

New Orleans heute

Vor dem Hurrikan lebten im Großraum der größten Stadt im Bundesstaat Louisiana etwa 1,3 Millionen Menschen, in der City selbst waren es etwa 450.000. Bis dato sind erst 200.000 zurückgekommen, denn die sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts zum Tourismus-Zentrum entwickelnde Musikmetropole ist ein Jahr nach "Katrina" noch immer nicht auf den Beinen. Nicht nur das berühmt-berüchtigte Slumviertel des Lower Ninth Ward liegt nach wie vor darnieder. Auch gutbürgerliche Gegenden wie etwa Chantilly oder das in Universitätsnähe gelegene Lakeview stehen weitgehend leer. Die Hausbesitzer warten auf Geld aus Washington, das diesen Sommer hätte ausbezahlt werden sollen. Doch daraus wurde nichts. Man hat sie nun auf November vertröstet.

Der gebürtige Vorarlberger Günter Bischof, der an der Universität von New Orleans das Center Austria leitet, wohnt - zu seinem Glück - ein Stück außerhalb, im Dorf Larose. Den Hauptgrund für den schleppenden Wiederaufbau sieht er in einem bürokratischen Schlamassel: "Drei Ebenen der US-Verwaltung - Stadt, Bundesstaat und Washington - schieben einander den Ball zu. Das hatte fatale Folgen. Planerisch ist in diesem Jahr wenig passiert.“

Trotz Eigeninitiative keine Infrastruktur

New Orleans ist auch heute noch in weiten Teilen eine Stadt ohne Infrastruktur: Vor "Katrina" gab es 22 Krankenhäuser. Nun sind es sieben. Vieles, was die Bewohner von New Orleans früher als selbstverständlich hinnahmen, funktioniert nicht: Es gibt zu wenig Supermärkte, Tankstellen und Apotheken. Einrichtungen des sozialen Lebens wie Kaffeehäuser oder Klubs sind nach wie vor geschlossen.

"Viele Leute haben die Geduld verloren. Sie haben selber zugepackt und begonnen, ihre Häuser wieder aufzubauen“, erzählt Günter Bischof. Doch zu viel Eigeninitiative kann in New Orleans der Gesundheit abträglich sein. Viele Häuser standen wochenlang unter Wasser. Deren Wände sind mit Schimmelpilz überzogen.

Hilfe von Aktivisten-Organisationen

Das Innenleben eines Hauses fachmännisch demolieren zu lassen, können sich viele nicht leisten. Diese Arbeit haben nun Aktivisten-Organisationen wie etwa Common Ground übernommen:

"Wir haben gesehen, wie Hausbesitzer nur mit einem Tuch vor dem Mund Wände herausgerissen haben“, erzählt Shakoor Ajuwane. Diese Schwerarbeit übernehmen nun Studenten, die seit Monaten aus allen Teilen der USA nach New Orleans kommen, um auszuhelfen. Sie tragen Schutzanzüge und Gesichtsmasken.

Die Fehler der Vergangenheit

Hurrikan "Katrina" hat drastisch aufgezeigt, was in New Orleans in den letzten 100 Jahren falsch gelaufen ist. "Wenn man sich einen Stadtplan von New Orleans um 1880 anschaut, könnte man meinen, man hat einen Plan der Überschwemmung 2005 vor sich", vergleicht die auf die Geschichte der Stadt spezialisierte Historikerin Connie Atkinson. Mit anderen Worten: Früher bauten Leute auf höher gelegenem Terrain wie etwa im French Quarter oder im Garden District, dem Villenviertel von New Orleans. Diese Gebiete erlitten durch Hurrikan "Katrina" zwar erheblichen Windschaden, doch sie wurden nicht überflutet.

"Es gibt ein altes Sprichwort“, sagt Atkinson: "Baue nie ein Haus an einem Platz, wo vorher keines gestanden ist.“ Doch gerade das geschah ab dem frühen 20.Jahrhundert. Sümpfe wurden trockengelegt und Kanäle gestochen. Unter dem Gewicht der Häuser wurden die wasserhältigen Sedimente zusammengepresst. Das Terrain senkte sich. Da gleichzeitig Marschland an der Küste durch Erosion rasant verloren geht, fehlt der Stadt auch ihr natürlicher Schutz, der die Flutwellen hätte bremsen können.

Triste Zukunftsaussichten

"Jedem denkenden Menschen muss klar sein“, sagt Günter Bischof, "dass die Stadt so, wie sie war, nicht wieder aufgebaut werden kann. Es gibt Gebiete, die sind nun mal nicht zu schützen.“

Die logische Konsequenz daraus: Die niedrig gelegenen östlichen Teile von New Orleans sollen der Natur zurückgegeben werden. Doch dieser radikale Ansatz wird vorläufig nur unter Akademikern diskutiert. Für Politiker ist es - vorläufig noch - ein viel zu heißes Eisen. Denn im November stehen in den USA Kongresswahlen vor der Tür.

Mehr zur Wirbelsturm-Katastrophe in oe1.ORF.at

Hör-Tipps
Journal-Panorama, Dienstag, 22. August 2006, 18:25 Uhr

Dimensionen, Dienstag, 22. August 2006, 19:00 Uhr

Mehr dazu in Ö1 Programm

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Links
GEO.de - New Orleans und die Folgen (Themen-Special)
Wikipedia - Hurrikan "Katrina"
"Katrina"-Hilfe - dt. Site
City of New Orleans