Krankheit, Verfall und Tod

Jedermann

"Jedermann" heißt der neue Roman des US-Schriftstellers Philip Roth, dessen deutsche Übersetzung seit 16. August im Buchhandel erhältlich ist. Philip Roth erzählt in "Jedermann" eine Geschichte über Krankheit, Verfall und Tod.

Es beginnt mit fünf Bypässen. Kein Problem, meinen die Ärzte. Kurz darauf eine verstopfte Nierenarterie - auch das lässt sich regeln. Und gegen den erhöhten Blutdruck kann man ohnehin etwas tun. Auch für eine Arteria carotis, die nach Schlaganfall aussieht. Heutzutage gibt es tüchtige Operateure. Und danach hat man wieder seine Ruhe. Doch schon ein Jahr später schleicht sich ein Hinterwandinfarkt ein, hinterrücks und ohne sich vorher groß zu Wort zu melden. Nun helfe nur mehr die Implantation eines Defibrilators, meint das Ärztekonsortium. Auch das kein Problem. Damit leben Sie dann noch ewig.

Abrechnung mit der Endlichkeit

Alt zu werden ist eine Herausforderung. Kaum jemand, der davor gefeit ist. Auch Philip Roth ist nicht mehr jung, Jahrgang 1933. Das eine oder andere Zipperlein wird er schon kennen. Dass Alter und Tod keinem erspart bleiben, weiß er sicher, das hat er seinem neuen Roman aufs Cover geschrieben. "Jedermann" heißt sein Buch, diese eindringliche und zugleich leichthändige Abrechnung mit der eigenen Endlichkeit.

Auf den ersten Blick hat dieser Jedermann, ein rüstiger und gut situierter Pensionist, keinen Grund zur Klage. So schlecht ist sein Leben gar nicht gelaufen. Beruflich war er sehr erfolgreich, sein Job in einer Werbeagentur hat ihm genügend Geld und Prestige eingebracht. Und auch die Frauenherzen sind ihm zugeflogen. Dreimal war er verheiratet, etliche Affären haben seinem Ego geschmeichelt. Nun steht das Alter vor der Tür. Aber auch das müsste ja zu meistern sein, meint der Kopf. Doch die Gefühle sehen das ganz anders.

Dunkle Stellen in der Vergangenheit

Jedermann ist etwas ängstlich geworden. Nach den Anschlägen von 9/11 ist er aufs Land gezogen, in eine luxuriöse Seniorenresidenz an jener Küste von New Jersey, wo er schon als Kind mit Eltern und Bruder seine Ferien verbracht hat. Nun kann er sich seiner Passion widmen, dem Malen. Und er hat viel Zeit. Plötzlich merkt er, dass seine Vita, die nach außen hin recht strahlend erscheint, doch etliche dunkle Stellen hat.

Mit seinen beiden Söhnen hat er kaum noch Kontakt. Sie verachten ihn, seit er sich von ihrer Mutter scheiden hat lassen. Mit seiner Tochter aus dritter Ehe versteht er sich gut, doch sie lebt ein Leben, das ihm Sorge bereitet, zwei Kinder und wenig Geld, kein Mann an ihrer Seite. Dann gibt's noch den Bruder Howie, der sich um ihn sorgt, aber den hält er immer schwerer aus. Je öfter Jedermann im Krankenhaus landet, umso regelmäßiger ertappt er sich dabei, wie er Howie um dessen robuste Gesundheit beneidet. Gleichzeitig spürt er - und das ist noch viel gravierender -, dass er sich ja eigentlich selbst unsympathisch findet, unsympathisch, egoistisch und auch feige.

Kein Lamentieren, keine Ratschläge

Eigentlich kein besonderer Stoff, jedenfalls nichts Neues, und schon gar nicht im poetischen Kosmos des Philip Roth. Doch der weiß einfach, wie's geht. Kann man Altwerden lernen? Könnte schon sein, ein bisschen möglicherweise. Vielleicht auch gar nicht. Philip Roth hat keine Rezepte. Sein Roman schaut Krankheit und Tod direkt ins Auge. Er bleibt dabei gelassen und lakonisch. Kein Lamentieren, keine Ratschläge, kein kunstvoll verpacktes Memento mori.

Stattdessen präsentiert er uns ein trockenes, mitunter ironisches Buch, das sich schlaue Kommentare spart und allein aus den Erfahrungen seines müden Helden lebt. Wie geht man damit um, wenn man merkt, dass der Körper im Kampf gegen die Endlichkeit auf verlorenem Posten steht? Wenn man einsieht, dass vieles nicht wieder gut zu machen ist, ob's nun die eigene Person betrifft oder die Gefühle anderer. Philip Roths Jedermann muss erkennen, dass es den erquicklichen Hain des Alters nicht gibt. Und wenn doch, so bleibt er von dort ausgesperrt. Von seinen jüdischen Wurzeln und dem Tröstlichen der Religion hat er sich weit entfernt, darauf kann er nicht bauen. Auf was also sonst?

Humorvolles, verqueres Trauerspiel

Philip Roths Roman kommt leichten Schrittes daher, obwohl das Thema nach Mühe klingt. Macht's aber nicht. Und so folgt man seinem traurigen Helden gebannt bis zuletzt. Seine siebte Operation überlebt Jedermann nicht. Eine verstopfte Halsschlagader wird ihm zum Verhängnis. Dass die Handlung mit dem Begräbnis des Helden einsetzt, lässt den Roman zum verqueren Trauerspiel werden. Der Erzähler, gerade eben von der Bühne des Lebens abgetreten, sieht dabei zu, wie er selbst unter der Erde verschwindet - von den einen betrauert, von den anderen gleichgültig verabschiedet.

"Es war einmal, da war ich ein ganz anderer Mensch", hört man den Jedermann sagen. Zu spät, kein Platz mehr für die Märchenstunde. Philip Roth macht reinen Tisch. Denn was blüht uns nach dem Tod? Nichts. Das Fleisch vergeht, nur ein paar Knochen bleiben übrig. Und auch die werden die Zeit nicht überdauern.

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Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
Philip Roth, "Jedermann", Hanser Verlag, ISBN 3446208038