Nicht mehr sauer

Easy Listening

Radiohead am Samstag, Dienstag Blumfeld, ich führe ein aufregendes Leben, in dem Depressionen beinahe so wenig Platz haben wie ich unter 50.000 singenden Fans. Das muss, nach der Larmoyanz der vorvorigen Woche, klipp und klar gesagt werden.

Ich bin sauer und sage: Ungarn ist eigentlich wie österreichischer Fußball. Keine Ahnung, warum das so ist, ich bin weder Soziologe noch irgend so ein Fußballintellektueller. Ich bin hungrig und sauer und sage: In den ungarischen Würsten steckt die ganze Unschuld der ungarischen Volksseele, man mag beim Biss an Schuld denken, aber sobald der Gaumen den Brei an den Magen verabschiedet hat, gelangt man zu der absurden Einsicht: Das ist wahre Unschuld, eine fette Verworfenheit in der Paarung von Maß- und Geschmacklosigkeit, die sich seit kommunistischen Zeiten sehr gut erhalten hat, das kann nur das ewig blaue Auge eines Landes, in dem sogar die Polizei kompliziert heißt, wo der Notruf wahrscheinlich neunstellig ist und es zum Frühstück kleine, fette, warme Würste gibt, die niemand essen kann, sage ich. Ich bin furchtbar sauer.

Das Leben ist eine einzige Strapaze, und ich ersehne die Zeit, da ich mich davon ausruhen werde. Es eilt. Es ist eine Eile, die mit jener nach dem Morgenkaffee und der Morgenzigarette vergleichbar, nicht aber zu verwechseln ist. Mit dieser ist eigentlich nichts zu vergleichen.

Warum ist das Leben eine Strapaze? Wegen Ungarn. Man soll mit 70 auf kein Festival in Budapest mehr fahren. Alles ist entsetzlich dort, die Hölle wird dagegen eine Kinderjause sein. Da ich der Auffassung bin, dass alles immer gleichzeitig ist und es also gar keine Zeit gibt,

  • haben erstens beim Festival auch noch die Kinder gejausnet, und das allein ist schon ärger als Oktoberfest,
  • und bin ich zweitens schon jetzt reif für den Ruhestand. Vielleicht fahr ich im September zum Oktoberfest?
Thom Yorke, der Sänger der Musikgruppe Radiohead, deretwegen ich nach Budapest gefahren bin, ist ein rachitischer Maulwurf. Kein Problem. Er tänzelte sensibel und psychiatrisch vor seinem Mikrofonständer herum, denn er war sicher auf Speed, das ist eine Droge, die alles super macht, aber ich habe sie noch nie genommen, vielleicht sollte ich sie nach München mitnehmen.

Thom Yorkes Bartwuchsmittel zeigte außerdem erste Wirkung, und die Leute verursachten bei mir Panikattacken, weil sie mir zu eng waren. Die Leute werden immer enger, finde ich. Dennoch ist Thom Yorke auf der Bühne ein König. Oder ein Gott. Oder ein Kanzler, je nach Vorliebe. Und warum? Weil er ein Depro ist, genauer einer, der das auch auszudrücken versteht, also einer von den Guten, einer von uns. Und wir sind ich. Das ist meine Meinung, meine ehrliche Meinung, um mit Hans Extrawurst zu sprechen, den ich einmal über österreichischen Fußball interviewt habe.

Ungarn. Ich will da nicht mehr hin.

Ich bleibe hier. Hier ist es auch okay. Hier spielten am Dienstagabend Blumfeld, und sie spielten schön. Sie spielten viele Lieder, die ich kannte, und jetzt weiß ich, dass sogar Blumfeld Hits haben, ganz genau wie Radiohead. Bei Radiohead waren zirka 50.000 Personen zuschauen, bei Blumfeld zirka 200, jenes ist viel und dies ist wenig, richtig Easy Listening! Und um meine erbärmliche Befindlichkeitsprosa mit einem sehr persönlichen, wiewohl versöhnlichen Schluss zu versehen, gebe ich zu Protokoll, dass ich
  1. nie wieder nach Ungarn fahren werde, auch nicht fliegen, schweben oder gehen, laufen, schwimmen oder beamen, hüpfen, flüchten oder auswandern,
  2. nie wieder ein Festival aufsuchen werde, das mehr als 200 Personen aufnimmt, und
  3. finde, Blumfeld-Frontmann Jochen Distelmeyer hat einen pikanten Hüftschwung.
Ich bin nun nicht mehr sauer.