Geschichte eines Traums

Atlantis

Über 50 Jahre hat sich der französische Historiker Pierre Vidal-Naquet immer wieder mit Atlantis und mit den Spekulationen über seine einstige Existenz auseinandergesetzt. Jetzt hat er ein Buch mit seinen Überlegungen herausgegeben.

Die Geschichte vom sagenhaften Atlantis, das größer als Nordafrika und Asien gewesen sein soll - also eher keine Insel darstellte, sondern einen eigenen Kontinent - und sein immenser Reichtum haben immer schon die Gemüter erhitzt. Der Mythos von Atlantis hat Philosophen, Historiker, Schriftsteller und Glücksritter wie ein Magnet angezogen. Doch das Problem steckt im Wort "Mythos".

Erstmals bei Platon

Der erste Autor, der sich ausführlich der Geschichte von Atlantis zuwandte, war kein geringer als der Philosoph Platon. In seinen Dialogen "Timaios" und "Kritias" wird ausführlich über das tragische Schicksal von Atlantis gesprochen - Atlantis, dessen Führer nach alleiniger Weltherrschaft strebten und das so von den Göttern zum Untergang bestimmt wurde.

Um es vorweg zu nehmen, Vidal-Naquet hält gar nichts von der These, dass Atlantis jemals wirklich existiert habe. Platon habe eigentlich nur eines zeigen wollen, meint Vidal-Naquet: Das Athen von Platons Lebenszeit gleiche aufs Haar Atlantis, seinen hybriden Herrschaftsgelüsten und Allmachtsphantasien. Und wenn Athen und seine Politiker nicht zu den Tugenden wie der Friedensliebe zurückkehrten, dann würde ihnen ein ähnlich schreckliches Schicksal wie dem von Atlantis bevorstehen. Für Vidal-Naquet ist Atlantis ein Mythos, den Platon geschickt verwendet, um seine eigenen Vorstellungen von einem gerechten Staatswesen vorzuführen.

"Nova Atlantis"

So weit so gut. Das Problem dabei ist, dass es einige kluge Köpfe in der europäischen Geschichte gegeben hat, die dieser Darstellung widersprechen. Allen voran ist hier der englische Philosoph und Staatsmann Francis Bacon zu nennen. Er schrieb 1624 sein real-utopisches Buch "Nova Atlantis". Er nahm darin direkt Bezug auf Platon und setzte die Existenz der Insel Atlantis als historisches Faktum. Freilich, zu Bacons Zeit glaubten nicht wenige, dass der neue Kontinent Amerika eine Art riesiger Rest des sagenumwobenen Atlantis sei. Aber das ist weniger wichtig.

Worauf sich Bacon und andere stützen konnten, was aber Pierre Vidal-Naquet hingegen nicht wirklich thematisiert, ist eine Vorgangsweise Platons: Der griechische Philosoph hat in seinen Texten die von ihm erfundenen oder aufgefundenen Mythen also solche gekennzeichnet. Atlantis hingegen gehört für Platon nicht zum Mythos sondern zum "logos". Die Überlieferung von Atlantis ist daher als eine historisch wahre anzusehen.

Mit nationalen Mythen verflochten

Pierre Vidal-Naquet schreibt an einer Stelle seines Buches über die Zunft der Historiker und ihr Verhältnis zur Philosophie Folgendes:

Der Gedanke, dass ein Philosoph sich für Geschichte und ein Historiker sich für Philosophie interessieren könnte, hat es nicht immer leicht, sich durchzusetzen.

Vidal-Naquets Kronzeuge für sein Atlantis-Buch ist der Philosoph Platon. aber nicht derjenige, der die Wahrheit liebt, sondern derjenige, der einen Mythos schafft. Der Historiker zeigt in seinem Buch teilweise akribisch genau, wie seit dem 16. Jahrhundert die Atlantis-Geschichte zusehends mit nationalen Mythen verflochten wird und letztlich im Nationalsozialismus seine äußerste Perversion erfährt: Da sind natürlich die Nachfahren der Bewohner von Atlantis die Arier; und auch Jesus war kein Jude gewesen, sondern Atlanter.

"Supermacht" Atlantis

Platon denkt, dass Tausende Jahre vor seiner Existenz das gewaltige Atlantis existiert habe. Aber er glaubt nicht, dass sich das irgendwann einmal historisch beweisen lässt. Nach dem Untergang bleibt von Atlantis sein Begriff bestehen. Und Atlantis als Begriff steht für eine "Supermacht", wie wir heute sagen würden, die allein oder im Staatenbund durch militärische, ökonomische, politische und kulturelle Vorherrschaft alles Andersartige zu unterdrücken, ja, vielleicht sogar zu beseitigen vermag.

Atlantis ist nicht Jahrtausende alte Geschichte, sonder ist immer das Hier und Jetzt der Geschichte. Atlantis ist immer da, wo gerade die Menschheitsgeschichte spielt. Bleibt die Frage, ob noch einmal die Götter vom Himmel herabsteigen werden, um eine solche "atlantische Macht" zu bestrafen. In Pierre Vidal-Naquets Atlantis-Buch sucht man derartige Überlegungen vergeblich. Und das ist sehr sehr schade.

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Buch-Tipp
Pierre Vidal-Naquet, "Atlantis. Geschichte eines Traums", C. H. Beck Verlag, ISBN 3406543723