Das Mammutwerk eines Exilkubaners

Die Autobiografie des Fidel Castro

Eine Darmoperation zwang Fidel Castro kürzlich, die Amtsgeschäfte an seinen Bruder zu übergeben. Die Exilkubaner in Miami feiern schon seinen Sturz. Castro selbst aber winkt ab. Anlässlich seines 80. Geburtstages am 13. August erschien nun eine fiktive Biografie.

Die Exilkubaner in den USA rufen zum Umsturz auf Kuba auf. Kubas Führer Fidel Castro hatte vor wenigen Tagen wegen einer Darmoperation die Amtsgeschäfte vorübergehend an seinen Bruder Raul abgegeben. Gerüchte über den baldigen Tod Fidels machen seitdem die Runde. Für die Exilkubaner jedenfalls ein klares Signal, dass jetzt der Zeitpunkt für einen Aufstand in dem Karibikstaat gekommen ist.

Fidel Castro selbst ließ indes ausrichten, er sei sehr gesund und sehr munter - und das, obwohl der Revolutionsführer am 13. August bereits seinen 80. Geburtstag feiert. Diesen wiederum nahm der C. H. Beck-Verlag zum Anlass, um die fiktive Autobiografie des Revolutionsführers von Norberto Fuentes - einem Exilkubaner und ehemaligen Freund Castros - auf Deutsch zu veröffentlichen.

Der lebende Mythos

Unter den politischen Führern des 20. Jahrhunderts finden sich nur wenige, die sich so lange an der Macht gehalten haben, wie Fidel Castro. Insgesamt 47 Jahre ist er bereits im Amt und damit der am längsten amtierende Staatschef der Gegenwart. Aber auch kaum einer ist ähnlich umstritten, wie er.

Während ihn die einen ungebrochen als Vorreiter der antiimperialistischen Bewegung feiern - als Wegbereiter für den Kampf um soziale Gerechtigkeit in der nicht westlichen Welt - werfen ihm der UN-Menschenrechtsausschuss und andere NGO’s diktatorische Herrschaftsmethoden und grobe Menschenrechtsverletzungen vor. Aber Castro wäre wohl nicht zu dem Mythos geworden, den er bis heute verkörpert, wenn er durch derlei Kritik auch nur im leisesten zu irritieren wäre.

Racheakt eines Exilkubaners?

Ich habe es immer mit einer Welt von Verzagten und Schwächlingen zu tun gehabt. Wie könnte ich mich da von solchen Erscheinungen beeinflussen lassen, die ich selbst erniedrigt habe. Diejenigen, die ich geliebt habe, habe ich stark gemacht. Die anderen, das ist wahr, verachte ich".

So wird der Revolutionsführer in der soeben im H. C.-Beck-Verlag auf Deutsch erschienenen fiktiven Autobiografie zitiert. Diese Selbstgerechtigkeit und Größenwahn ziehen sich wie ein roter Faden durch dieses Buch. Es sind bislang ungehörte Bekenntnisse eines der größten politischen lebenden Legenden, könnte man meinen. Weit gefehlt, denn auf den zweiten Blick entpuppt sich das private Protokoll des Revolutionsführers als Kuckucksei ...

Es ist nämlich nicht Fidel Castro selbst, der da plaudert, sondern einer seiner ehemaligen Weggefährten: der Schriftsteller Norberto Fuentes - einst enger Freund und Kampfgenosse, der in den 1980er Jahren selbst Opfer von Castros Willkürherrschaft geworden ist. Aus sicherer Distanz - im amerikanischen Exil - holt er in fiktiver Ich-Form zum großen, wenn auch leicht verspäteten Gegenangriff auf den einstigen Mentor aus und lässt ihn als Zyniker der Macht und selbst verliebten Egomanen erscheinen. Ein verspäteter Racheakt?

Intimitäten, keine endgültigen Antworten

Ich, ich allein, habe mehr und fernere Länder erobert als Alexander der Große. Ich habe zwei Imperien getrotzt, die tausendmal mächtiger sind als das alte Rom und Ägypten und alle antiken Reiche zusammen. Ein halbes Jahrhundert lang habe ich weltweit häufiger Schlagzielen gemacht als irgendein anderer Staatsmann. Mein Namenszug weht auf einer von mir signierten Fahne in der Antarktis. Die kubanische Revolution hätte niemals ohne mich stattgefunden. Tatsächlich habe ich größte Sorge dafür getragen, dass meine Geschichte zur Gegenwartsgeschichte des Landes wird".

In diesem Duktus lässt Fuentes den Revolutionsführer über mehr als 700 Seiten über sich selbst, seine Liebe zur Macht und sein Leben reflektieren, wobei er sich in der deutschen Übersetzung noch kurz fasst. Die spanische Originalausgabe ist mehr als 2.000 Seiten dick. Aber die epische Länge ist bei weitem nicht das größte Problem, auf das Castro-Freunde wie Skeptiker und Kritiker stoßen werden. Denn auf endgültige Antworten und auch bislang ungelöste Fragen wie etwa "Wer hat nun Kennedy wirklich ermordet?" wartet man vergeblich. Stattdessen bekommt man allerlei Delikates aus dem Intimleben des Comandante serviert.

Wenig überzeugender Einblick

Die schonungslose Offenheit mit der einem hier Menschen verachtende Bemerkungen wie etwa "Frauen sind Huren, keine Arzneimittel" entgegengeschleudert werden, erzielen allerdings kaum die gewünschte Wirkung. Denn an keiner Stelle des Buches kann man klar ausmachen, wo die Erinnerung an tatsächliche Ereignisse und Aussagen aufhört und wo die schriftstellerische Fantasie beginnt.

Auch die Quellen, auf die sich Fuentes bezieht, um seine Anmaßung in Castros Namen zu sprechen, zu rechtfertigen, sind im Anhang lediglich chronologisch aufgelistet. Welchem Buch er aber welche Aussagen bzw. Behauptungen entnimmt, bleibt unklar. Anstatt also einen überzeugenden Einblick in die widersprüchliche Persönlichkeit des kubanischen Staatschefs zu geben, erweckt die erfundene Biografie vielmehr den Eindruck, als könnte sich der Autor nicht recht entscheiden, ob er den Mythos Castro nun endgütig zerschlagen oder aber im Nachhinein zumindest ein Stück weit davon mitprofitieren will.

Persönlicher Exorzismus

Die Fähigkeit zur Manipulierung der Wirklichkeit stellt den grundlegenden Mechanismus für meinen Aufstieg an die Spitze der Macht dar.

Ob fiktive Zitate wie dieses nun mehr über Castro, als vielmehr über die Beziehung des Autors zu seinem ehemaligen Anführer verraten, muss - wie so Vieles in diesem Buch - offen bleiben. Und Fuentes macht auch gar kein Hehl aus der persönlichen Motivation für seine fiktive Aufarbeitung der Lebensgeschichte Fidel Castros. Als "persönlichen Exorzismus" hat er sein Werk bei der Erstveröffentlichung auf Spanisch bezeichnet. Und als Dokument einer nach wie vor angespannten Hassliebe besitzt die fingierte Biografie in der Tat Glaubwürdigkeit. Wer allerdings gehofft hat, unerwartete und neue Aspekte im Leben einer in jeder Hinsicht außergewöhnlichen politischen Figur zu entdecken, wird enttäuscht sein.

Mehr dazu in Ö1 Inforadio und ORF.at

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendungen "Journal-Panorama" zu Fidel Castro vom Donnerstag, dem 10. August 2006, 18:25 Uhr und "Kontext" zur fiktiven Autobiagrafie Castros, vom Freitag, dem 4. August 2006, 9:05 Uhr jeweils nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipp
Norberto Fuentes, "Die Autobiografie des Fidel Castro", C. H. Beck-Verlag, ISBN 3406542166

Links
C. H. Beck-Verlag - Die Autobiografie des Fidel Castro
Wikipedia - Fidel Castro
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