Viel geliebt, viel geschmäht

Alles, was Brecht ist

Nach dem Brecht-Jahr, 1998, zum 100. Geburtstag des Dichters ist der 50. Todestag am 14. August eine willkommene Gelegenheit dieses modernen Klassikers zu gedenken. Ö1 widmet dem Dramatiker und Lyriker zahlreiche Sendungen.

Der aus großbügerlichen Kreisen stammende Eugen Berthold Friedrich Brecht aus Augsburg, der für sich den "härteren" Vornamen Bertolt wählte, hatte in seiner Jugend nie wirkliche Beziehungen zur Arbeiterklasse. Auch später mied er jeden allzu hautnahen Kontakt zur Masse. Aber seinem Elternhaus wollte er bald entfliehen. So werden schon in seinen frühen Gedichten von 1914 an, auch unter den Einflüssen von Frank Wedekind, antibürgerliche Tendenzen deutlich.

Das erste Stück "Baal" zeigt einen triebbesessenen und genusssüchtigen, selbstverliebten und intoleranten Poeten in der Rebellion gegen die Spießbürger. Ein bedeutender Künstler wollte er werden, das wusste Brecht schon früh. "Wonach er sich am meisten sehnte, war Erfolg - in der Kunst und bei den Mädchen", schreibt sein Biograf Werner Mittenzwei.

Brecht und die Frauen

Brecht machte seine Mitarbeiterinnen zu seinen Geliebten bzw. die Geliebten zu Mitarbeiterinnen. Der Autor Brecht war ein Kollektiv. Zu dem Kollektiv gehörten Helene Weigel, Elisabeth Hauptmann, Ruth Berlau, Margarete Steffin, Isot Kilian und Käthe Reichel. Manche von ihnen zahlten einen hohen Preis, sei es ein einsamer Tod oder psychische Störung.

Für das 1922 in München uraufgeführte Heimkehrerstück "Trommeln in der Nacht" erhielt der junge Brecht den Kleist-Preis und setzte sich damit als Dramatiker durch. Mit seiner Gedichtsammlung "Hauspostille" (1927) machte er auf seine bedeutende Begabung als Lyriker aufmerksam, die im Bewusstsein der Öffentlichkeit lange Zeit hinter der als Dramatiker zurücktrat. Dabei ist Brecht einer der folgenreichsten Lyriker dieses Jahrhunderts. Er hat eine immense Produktion auf diesem Feld vorzuweisen - er schrieb rund 2.500 Gedichte. Mehr als 1.500 davon wurden Ende Juli beim ABC-Festival in Augsburg rezitiert, von dem auch das Kunstradio im Rahmen des Ö1 Brecht-Schwerpunkts berichtet.

Die "Goldenen Zwanziger"

1924 siedelte Brecht nach Berlin, wo er neben Carl Zuckmayer Dramaturg an Max Reinhardts Deutschem Theater wurde und bald auch Helene Weigel kennen lernte, seine spätere, aus Wien stammende Frau.

Die legendären "Goldenen Zwanziger" in der Reichshauptstadt waren in ihrer sozialen Widersprüchlichkeit für Brecht Anschauungsmaterial für seine Studien der Nationalökonomie und des Marxismus, dem er sich jetzt verstärkt zuwandte. Als Folge entstanden "Lehrstücke" wie "Die Maßnahme", "Die Ausnahme und die Regel" und "Der Jasager". Aber auch "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" mit der Musik von Kurt Weill, mit dem Brecht die "Dreigroschenoper" erarbeitete und die 1928 im Theater am Schiffbauerdamm, dem heutigen Berliner Ensemble, zu einem sensationellen Erfolg wurde. Insgesamt acht Werke entstammen dieser bedeutenden Autorenzusammenarbeit des 20. Jahrhunderts.

Weg in die Emigration

Nach dem Brand des Reichstags in Berlin Ende Februar 1933, den die Nationalsozialisten zum Anlass zur Verfolgung politischer Gegner nahmen, emigrierte Brecht und lebte in den folgenden Jahren in Dänemark, Finnland und in den USA. In der Fremde entstanden seine antifaschistischen und pazifistischen Stücke wie "Mutter Courage und ihre Kinder", "Die Rundköpfe und die Spitzköpfe", "Furcht und Elend des Dritten Reiches" und die Hitler-Parabel "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui".

Unter dem Eindruck der 1938 entdeckten Kernspaltung entstand Brechts Drama "Leben des Galilei", eines seiner bedeutendsten, das 1943 in Zürich uraufgeführt wurde.

Metadiskurs der Verfremdung
Im Mittelpunkt von Brechts "epischem Theater" steht der so genannte den "Verfremdungseffekt". Mit dessen Hilfe soll dem Zuschauer das Nachdenken über die dargestellten Vorgänge erleichtert werden statt ihn durch Emotionen zu berauschen. Dass Theater auf besondere Weise auch unterhalten und vergnüglich sein sollte, war zwar ebenfalls Brechts oberste Devise, wurde aber von vielen Regisseuren seiner Stücke seltener beachtet. Einen Teil der Schuld daran wird von manchen auch den Brecht-Erben gegeben, die keine großen Veränderungen bei den Modell-Inszenierungen durch das Berliner Ensemble zuließen.

Es eine auffallende Brecht-Abstinenz der großen deutschen Regisseure der fünfziger und sechziger Jahre von Fritz Kortner über Gustaf Gründgens bis Rudolf Noelte. Aber auch die nachrückenden "jungen Wilden" am Theater der siebziger Jahre, die sich am ehesten für das Frühwerk interessierten wie Peter Stein, zeigten meist nicht übermäßig viel Interesse an den Werken des Stückeschreibers.

Rückkehr nach Europa

1947 kehrte Brecht nach Europa zurück und folgte schließlich einer Einladung nach Ost-Berlin. Dort schufen er und Helene Weigel das Berliner Ensemble - ein Theater von Weltruf. Dessen Glanz verblasste nach Brechts Tod allerdings bald. Claus Peymann hat übrigens - ehe er eben die Leitung dieses Berliner Ensembles übernahm - am Wiener Burgtheater eine Reihe von Brecht-Inszenierungen herausgebracht.

Der Brecht-Boykott
Am 12. April 1950 erhielt Brecht durch Intervention des Komponisten und Direktoriumsmitglieds der Salzburger Festspiele Gottfried von Einem die österreichische Staatsbürgerschaft. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Dichter staatenlos, nachdem ihm die Nationalsozialisten 1933 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt hatten. Eine Zusammenarbeit mit den Salzburger Festspielen scheiterte, nachdem die Verleihung der Staatsbürgerschaft an den "Kommunisten Brecht" bekannt wurde. Dabei plante Brecht schon seit dem Sommer 1949, einen "Gegen-Jedermann" für die Festspiele zu schreiben, kam aber über Fragmente nicht hinaus.

Brecht in den letzten Lebensjahren in einen immer größer werdenden Zwiespalt zwischen der Loyalität zur "kommunistischen Sache" - in der Partei war er nie - und den immer offenbarer werdenden Widersprüchen. Seine unklare Haltung zum von sowjetischen Truppen niedergeschlagenen Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 führte im Westen zeitweise zu einem regelrechten Brecht-Boykott an den Theatern. In Wien wurde der 13 Jahre währende "Brecht-Boykott" vor allem von den Schriftstellern Friedrich Torberg und Hans Weigel getragen.

Am 10. August 1956 brach der Autor die Proben an seinem "Galilei" ab und starb vier Tage später an einem Herzinfarkt. Er wurde neben seinem Wohnhaus in der Berliner Chausseestraße auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof - wie auch später Helene Weigel - beigesetzt. Dort liegen auch Friedrich Wilhelm Hegel, Heinrich Mann, Heiner Müller und Stephan Hermlin begraben.

Eigentlich hatte Brecht noch eine "Nationalkomödie" über den "Ewigen Deutschen" schreiben wollen, der, wie der Biograph Mittenzwei es formuliert, "stets auf der Suche nach einem Führer ist, der ihn in den Arsch tritt".