Vom Lesen leben

Lesen als Beruf

Wann und wo lesen Sie eigentlich am allerliebsten? Vor dem Schlafengehen, im Urlaub, im Freibad? Es gibt Menschen, die sich ihr tägliches Brot mit Lesen verdienen. Literaturkritiker, Literaturwissenschaftler, Buchhändler, Lektoren - sie müssen lesen.

Zu Besuch im österreichischen Literaturarchiv in Wien. Volker Kaukoreit, dessen stellvertretender Leiter, zeigt uns seinen Arbeitsplatz. Es ist ein kleiner Schreibtisch in der rechten Ecke eines geräumigen Zimmers. Außer dem Computerbildschirm und zwei vollen Aschenbechern befinden sich auf dem Tisch Türme von Büchern, Mappen, Heften und Zetteln.

Volker Kaukoreits Tätigkeit hier: Lesen. Bis zu neun Stunden täglich. Das Objekt seiner Begierde: Texte, Briefe und Tagebuchaufzeichnungen aus den Nachlässen österreichischer Autorinnen und Autoren des 20. Jahrhunderts, von denen das Literaturarchiv an die 130 beherbergt.

Detektivisches Lesen

"Ich komme mir manchmal vor wie Sherlock Holmes mit seinem Assistenten Watson", lächelt Kaukoreit. "Man geht durch die Schachteln, findet Zusammenhänge, kann bisher unentdeckte Verbindungen aufspüren, muss aber manchmal, und da fängt das Detektivische an, die Lupe herausnehmen um überhaupt Handschriften entziffern, lesen zu können."

Neben seiner Tätigkeit als Literaturwissenschaftler arbeitet Volker Kaukoreit als Literaturkritiker, Radiojournalist und als Dozent am Institut für Germanistik an der Universität Wien. Lesen müsse er demnach nicht nur im Literaturarchiv.

Sich zum Lesen zwingen

"Einerseits muss ich mich dann am Abend schon einmal zwingen zu lesen, wenn ich einen Auftrag habe, der terminlich gebunden ist", gesteht Kaukoreit. "Das ist einerseits eine Anstrengung. Manchmal können das aber auch tolle Wochenenden werden, weil man sich so hinein vertieft in ein Buch."

So erfüllend das Lesen für ihn auch größtenteils ist: Durch eine übermäßige Beschäftigung mit gedruckten Worten kann so manches in Mitleidenschaft gezogen werden, weiß Volker Kaukoreit aus Erfahrung. Nacken und Augen etwa. Und ebenso zwischenmenschliche Beziehungen.

Übersetzungsbüro

Andrea Jank-Hofbauer leitet seit fünf Jahren gemeinsam mit ihrem Mann das Übersetzungsbüro und Lektorat "Korrelektor" in Wien. "Man braucht sehr viel Konzentrationsfähigkeit, das ist wirklich wichtig. Und man muss auch sehr genau sein. Eigentlich schon fast penibel", erläutert sie ihre Arbeit.

Ebenso wie ihre Mitarbeiter - 10 Lektoren und 30 Übersetzer an der Zahl - ist auch die 38-Jährige die gesamte Arbeitswoche mit Lesen beschäftigt. Jedoch nicht etwa bloß montags bis freitags von neun bis siebzehn Uhr. "Wenn's um Magazine und Zeitschriften geht, dann ist es hektisch - die haben einfach einen bestimmten Abgabetermin, auch die Druckerei wartet natürlich."

Breite Themenpalette

Neben Magazinen und Zeitschriften lektorieren Michaela Jank-Hofbauer und ihre Mitarbeiter Texte aller Art: Diplomarbeiten, Dissertationen, medizinische Publikationen, Betriebsanleitungen, Romane, Kurzgeschichten und Kinderbücher.

Manche Autoren, vor allem Berufsanfänger, würden Lektoren mit Ghostwritern verwechseln, sagt Andrea Jank-Hofbauer: "Man bekommt dann irgendwie zehn Seiten, eine Zusammenfassung: 'Ich stell mir das so vor, können sie mir ein Buch daraus machen.' Das passiert leider immer wieder. Oder Autoren, die ein Erstlingswerk raus bringen wollen und noch keinen Verlag haben und dann daherkommen und sagen: '600 Seiten'. Und die Wahrheit ist einfach: Ein Erstlingswerk mit 600 Seiten, das wird ein Verlag nicht nehmen, weil der verkauft das nicht."

Neun Stunden täglich zu lesen ist ziemlich anstrengend, gibt Michaela Jank-Hofbauer zu. Besonders auf dem Bildschirm. Brennende Augen und ein verspannter Nacken hielten sie jedoch nicht davon ab, auch ihre Abende zu Hause über Bücher gebeugt zu verbringen. Drei bis vier Schmöker pro Woche lese sie nicht beruflich, sondern rein zum Vergnügen.

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Hör-Tipp
Moment, Dienstag, 1. August 2006, 17:09 Uhr

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Links
Österreichische Nationalbibliothek - Österreichisches Literaturarchiv
Universität Wien - Volker Kaukoreit
Korrelektor