Überzeugende Überzeugung
Die Macht der Bücher und der Sonne
Ich bin ein Leser. Bücher haben für mich per se etwas Faszinierendes. Und der Faszination dessen, dass jemand derartig fest an ein Buch glaubt wie die Zeugen Jehovas an die Bibel - wider alle Wissenschaft -, kann ich mich erst recht nicht entziehen.
8. April 2017, 21:58
Letztens waren wieder einmal die Zeugen Jehovas bei mir zu Besuch. Na und? wird jetzt mancher fragen, mit solchen Leuten rede ich ja gar nicht. Ein kurzes "Kein Interesse", die Tür zugemacht, und schon ist man sie los. Mein Problem ist allerdings, dass ich gegen solche Besuche nahezu wehrlos bin. Ich schaffe es nicht, jemandem, der vor mir steht, und mit mir reden will, die Tür vor der Nase zuzumachen. Und die Zeugen Jehovas sind ja nicht unfreundlich, im Gegenteil. Sie sind nett, höflich und immer zuvorkommend. Sie sind auch nicht aufdringlich, wie Haustürverkäufer, die ihre auswendig gelernten Sprüche herunter leiern und einen kaum zu Wort kommen lassen. Und deren leicht erkennbares Ziel bloß die schnelle Unterschrift des Überfallenen ist.
Zeugen Jehovas hingegen, die an der Haustür klingeln, sind von etwas, von Jehova nämlich, absolut überzeugt. Sie glauben wirklich an ihre Botschaft. So etwas imponiert mir. Mich befällt da der unbezwingbare Drang, sie vom Gegenteil zu überzeugen, ihnen ihre Irrtümer nachzuweisen. An mir ist wahrscheinlich ein Missionar verloren gegangen.
Dazu kommt, dass sie einem tatsächlich zuhören. Zumindest tun sie so. Sie lassen einen reden. Ich kann dann nicht umhin, sie, der Jahreszeit entsprechend, beispielsweise auf einen Eiskaffee einzuladen. Was umso leichter fällt, als sie, wie ich aus Erfahrung weiß, die Einladung sowieso nicht annehmen. Sie trinken nur Sodawasser, und das bezahlen sie, darauf bestehen sie, selbst.
Es nützt auch nichts, einen Zeugen Jehovas etwa als Deppen zu bezeichnen, oder sonstwie zu versuchen, ihn durch Unhöflichkeit zu verwirren. Er wird immer gleich freundlich und gleich nett bleiben und die erste Gelegenheit nutzen, einem aus der Bibel vorzulesen. Und ich bin nun einmal ein Leser. Wenn man mir mit einem gedruckten Text kommt, hat man leichtes Spiel.
So saßen wir dann also in der Eisdiele, die Jehova-Zeugen nippten ehrfurchtsvoll an ihren Sodas, als handle es sich um das Wasser von Lourdes (wiewohl Zeugen Jehovas nicht an Lourdes glauben, soweit ich weiß). Ich verspeiste derweilen schon die zweite Portion Bananen-Split, und ließ es mir gut gehen, soweit möglich.
Durch sachliche Argumente kann man einen Zeugen Jehovas schon gar nicht aus der Ruhe bringen. Ich probierte es diesmal mit Evolutionstheorie. Das Erstaunliche an all den Kritikern der Evolutionstheorie von Texas bis zu gewissen Erzbischöfen besteht ja darin, dass sie von der Evolutionstheorie keine Ahnung haben. Sie haben die Theorie schlicht nicht verstanden, wie ihre Artikel in der "New York Times" zeigen, und größtenteils haben sie noch nicht einmal verstanden, was überhaupt eine wissenschaftliche Theorie ist.
"Sie glauben doch auch an die Theorie, dass es eine Schwerkraft gibt", sagte ich etwa zu den Zeugen Jehovas. "Warum dann nicht an die Evolutionstheorie?" - "Aber da ist doch etwas anderes, die Schwerkraft, die ist ja wirklich da", sagt der Zeuge. "Ist es nicht", sage ich, "auf die Theorie der Schwerkraft kommt man mit den gleichen wissenschaftlichen Methoden, wie auf die Evolutionstheorie. Und sehen kann man das eine wie das andere nicht."
Damit habe ich sie kurz verwirrt, aber natürlich nur kurz. Sofort greift der Zeuge Jehovas wieder zu seinem sichtbar viel benutzten Buch und liest vor, was Gott am vierten und am fünften Tag geschaffen habe. Und der Faszination dessen, dass jemand derartig fest an ein Buch glaubt, kann ich mich dann nicht entziehen.
Ich besiegte sie und mich selbst schließlich mit Hilfe der Sommerhitze. Klugerweise hatte ich es so eingerichtet, dass ich in meiner Stamm-Eisdiele, mit der ich naturgemäß mehr Routine habe, im Schatten saß. So blieben ihnen nur die Plätze in der Sonne. Als ich merkte, dass der Zustand der beiden sich dem eines Hitzschlags näherte, packte mich endlich das Mitleid. Ich brachte es tatsächlich zuwege, höflich zu sagen, nun dringend etwas zu tun zu haben. Dankbar standen sie auf. Allerdings versprachen sie noch, demnächst wieder zu kommen.