Quälende und erhellende Texte

Franz Kafka

Franz Kafkas Werk lieferte dem damals in seiner Höchstblüte stehenden Existenzialismus die eindrucksvollsten literarischen Bilder, darüber hinaus gab es für die verwaltete Welt in Ost und West die scharfsichtigste Diagnose ab.

Den "Prozess" gibt es auch als Faksimile-Ausgabe

Franz Kafka, ein Autor aus Prag bekanntlich, ist nicht ganz 41 Jahre alt geworden und hat doch ein Werk hinterlassen, ein umfängliches Werk, dessen Bedeutung sich allmählich, erst schrittweise, erschloss. Seine Doppelexistenz - auf der einen Seite das Beamtendasein, auf der anderen Seite der radikale Wille zum Schreiben -, dieser Antagonismus bestimmt so gut wie sein ganzes Werk und auch sein Leben.

Wir sprechen hier von einem Menschen, der sich immer zurückgenommen hat, der immer verzweifelter mit sich selbst und an den anderen wurde. Ehe er - das geht aus seinen Briefen auch hervor - die Schuld den anderen gab, hat er sich selbst klein gemacht, sich des Versagens beschuldigt. Und diese dauernde Biografie eines "Versagers", der das nicht erreichen konnte, was er wollte, diese Biografie bestimmt auch die Struktur seiner Texte.

Drei fragmentarische Romane

Es waren schon zu Lebzeiten Kafkas eine Reihe von Texten erschienen. Es waren kleinere Texte, der bekannteste ist der 1915 erschienene Band "Die Verwandlung", die die Aufmerksamkeit vieler Kritiker erregte, und eine Reihe anderer kleiner Schriften. Der wichtigste Teil der Werke Kafkas sind die großen Romane, mit denen Kafka letztlich seinen Weltruhm erhielt. Diese drei Romane sind aus dem Nachlass herausgegeben worden.

1925 erschien "Der Prozess", ein Jahr später "Das Schloss" und im Jahr darauf der Amerika-Roman. Diese drei Romane stellen das große Zentrum der Werke Kafkas dar. Man muss aber gleich auch hinzufügen, diese Romane sind alle nicht vollendet, sie sind nicht vollständig, sie sind Fragmente. Im Fragment drückt sich ja auch so etwas wie der Wahrheitscharakter eines Kunstwerkes aus, das heißt etwas nicht vollenden zu können ist letztlich zwar eine Kapitulation vor dem großen Werk, drückt aber eben auch den Willen des Autors aus, nicht etwas schnell, schleunig zu einem Abschluss zu bringen, den er nicht verantworten kann. Insofern ist dieses Offene der Werke Kafkas, die man später eigentlich immer wieder fertig schreiben wollte, vollenden wollte, auch ein Teil der großen Qualität dieser Texte.

Metaphysische Spekulationen

"Das Schloss", ist natürlich der Roman, der weitgehend die metaphysischen Spekulationen um das Werk Kafkas ausgelöst hat. Hier sind die Religionswissenschaftler weltweit zu Hause, weil sie darin erkennen, hier ist jemand, der nach der Transzendenz strebt, der also wissen möchte, was ist jenseits. Man kann natürlich vermuten, dass es sich bei diesem Schloss und dessen Herrschaft um so etwas wie Gott handelt, das Ding an sich, das, was wir nicht erkennen können. Das Scheitern dieses Landvermessers ist letztlich auch das Scheitern des menschlichen Erkenntnisstrebens.

Das Ziel der Wünsche

Der Amerika-Roman behandelt eigentlich ein sehr gängiges Thema der damaligen Zeit: die Desillusion durch das neue, große Amerika. Karl Rossmann, der mit einem Dienstmädchen ein Kind gezeugt hat, wird von seinen Eltern über den Ozean geschickt. Er zerbricht an dieser großen Welt, also deren Abbild eigentlich, wie Fritz Lang in "Metropolis" genial gestaltet hat. Auch hier haben wir ein Fragment, aber ein Buch, das mehr über Amerika aussagt, als manche, die authentisch über Amerika berichtet haben. Gerade dieser Amerika-Roman hat irgendwie auch das Bild Amerikas in Europa beeinflusst, auch als so etwas Transzendentes, das auf der anderen Seite des Ozeans liegt und das gleichsam das Ziel der Wünsche ist.

Kleine Fabel

Die Stärke der Texte Kafkas ist vor allem für mich darin zu sehen, dass er in der großen Struktur der Romane - auch wenn sie nicht vollendet sind - genauso intensiv verfährt wie in der Kleinstruktur seiner Texte, das heißt die kurzen Texte Kafkas gehören wahrscheinlich zu den besten Beispielen für die Möglichkeit der Literatur, auf engstem Raum komprimiert etwas zu sagen, auszusagen und zu gestalten.

Es gibt einen sehr schönen Text, "Kleine Fabel" heißt er, dieser kleine Text reduziert die ganze Geschichte der Fabel auf einen Punkt.

Ach, sagte die Maus, die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte. Ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin und dort, im Winkel, steht die Falle, in die ich laufe. Du musst nur die Laufrichtung ändern, sagte die Katze und fraß sie.

Es gibt kaum eine Geschichte, die so beengend wirkt wie dieser kleine Text. Ich glaube, diese Situation lässt sich auf so und so viele Lebenssituationen adäquat anwenden.

Die Macht der Ohnmächtigen

Das vielleicht Wichtigste ist das Kapitel "Macht" bei Kafka, nämlich die Macht der Ohnmächtigen. Elias Canetti, einer der bedeutendsten Kafka-Leser, hat ja Kafka den größten Experten der Macht genannt. Canettis berühmtes Buch "Masse und Macht" ist auch deutlich geprägt von Reflexionen über Franz Kafka, die zwar nicht so explizit zum Tragen kommen, die aber sehr deutlich zeigen, dass Canetti genau wusste, wie Kafka über die Macht dachte und gedacht haben musste.

Kaum ein Autor hat nach seinem Tod eine solche Wirkung erzielt wie Kafka. Die Sätze, mit denen er uns verfolgt, diese Sätze haben immer wieder in uns eine quälende, aber zugleich auch erhellende Wirkung hinterlassen. Sie sind gewissermaßen dazu da, das in uns gefrorene Meer mit einer Hacke aufzubrechen, und diese Hacke ist zum Teil in den Texten Kafka vorhanden.

Service

Wikipedia - Franz Kafka
Universität Bonn - Franz Kafka
Projekt Gutenberg - Werke von Franz Kafka

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