Die Suche nach einer versunkenen Stadt

Rungholt

Versunkene Städte gibt es eben nicht nur im mediterranen Raum: Rungholt lag im nordfriesischen Wattmeer vor der Küste Schleswigs, war im Mittelalter eine wichtige Handelsstadt und wurde zuletzt vor der großen Flutwelle von 1634 gesehen.

Versunkene Städte empfehlen sich meist durch ihre exotische Lage, zumindest ein mediterraner Hauch klassischer Antike wird vorausgesetzt. Doch ein Ort namens "Rungholt" im nordfriesischen Wattmeer vor der Küste Schleswigs qualifiziert sich nicht von selbst als geeignete Gegend für einen neuen Atlantis-Mythos.

Für Hans-Peter Duerr, kurz vor Beginn der Rungolt-Forschung an die Universität Bremen berufen, lag die Herausforderung nicht nur in der unwirtlichen Örtlichkeit, sondern auch in den widrigen Bedingungen des Forschungsprozesses.

Zahlreiche Schikanen

Zunächst wurde der streitbare Ethnologe durch die 68er-Veteranen der Bremer Universität als Antifeminist und Antisemit angefeindet und zahlreichen Schikanen ausgesetzt. Hinzu kamen die Angriffe der amtlichen und akademischen Archäologenriege, die ihn als unrechtmäßigen Usurpator ihrer wohl gehüteten Disziplin verabscheute. Somit liest sich das Buch nicht nur als archäologisches Abenteuer, sondern auch als akademischer Kriminalroman:

Einige meiner Bekannten hatten mir abgeraten, mich in Bremen zu bewerben, galt doch dessen Universität als eine Art "vergessene Welt", in der ideologische Lebensformen wucherten, die andernorts schon längst dem natürlichen Selektionsprozess zum Opfer gefallen waren.

Irrtümer der Forschung

Hans Peter Duerr erzählt die Geschichte elfjähriger Forschungen, die Suche nach der einst wichtigen mittelalterlichen Handelsstadt Rungholt, die zuletzt vor der großen Flutwelle von 1634 gesehen wurde. Sie war eine der bedeutendsten Umschlagplätze für den Zwischenhandel aus Flandern in den hohen Norden. Doch dem Forscherteam kamen bald Zweifel an so manchen Annahmen der Archäologen, deren Behördenvertreter sich den neuerlichen Forschungen gegenüber merkwürdig verhielten.

Mit beißender Ironie beschreibt Hans Peter Duerr den Schliemann-Komplex der Archäologenzunft, ihre Angst, dass Laien wie Schliemann das Glück der großen Entdeckungen zufallen könnte. Als nur "studierter" Archäologe, der sich später der Ethnologie zugewandt hatte, galt er den offiziösen Archäologen der Universitäten und Ämter als Laie, und wurde als solcher mit herablassender Verachtung und Ablehnung bedacht, umso mehr als Duerr schon durch seine ersten Grabungen die herkömmlichen Datierungen und Thesen seiner Kollegen widerlegte.

Älter als geglaubt

So wurde die Rungholtgegend mit ziemlicher Sicherheit schon weitaus früher besiedelt als es die Forschung bisher annahm, vor allem aber ließ sich nachweisen, dass die berühmte gleichnamige Stadt woanders lag als bisher behauptet. Was bisher als Ort des versunkenen mittelalterlichen Rungholt galt, erwies sich als 500 Jahre ältere Siedlung.

Fest steht, dass die bis heute vertretene Behauptung der Archäologen und Historiker, die Rungholtgegend sei nur eine kurze Zeitlang während des Spätmittelalters, nämlich vom frühen 13. Jahrhundert bis zum Jahre 1362, besiedelt gewesen, unzutreffend ist. Vielmehr deuten zahlreiche Indizien darauf hin, dass dieser Teil des Nordseemarschgürtels ab ca. 2500 v. Chr. von Familienverbänden der Streitaxtkultur in Besitz genommen wurde, sich dort im 14./13.Jahrhundert v. Chr. ein Handelsplatz der bronzezeitlichen "Bernsteinfürsten" befand und in dem Gebiet, in dem die Rungholter später ihre Stiftskirche errichteten, eine aus stattlichen Pfostenhäusern bestehende Siedlung lag.

Kreatives Denken gefordert

Darüber hinaus ist mit einiger Berechtigung davon auszugehen, dass sich schon ab der Bronzezeit ein reger Handelverkehr zwischen der Ägäis und den nördlichen Meeren entwickelte, wobei bronzezeitliche Seeleute offenbar über Kenntnisse verfügten, die später wieder verloren gingen.

Wie Hans-Peter Duerr und sein Team gezeigt haben, lässt sich Archäologie nicht von der akademischen und staatlichen Kanzel aus unter der strengen und neidischen Aufsicht selbsternannter Glaubenshüter betreiben, sondern setzt kreatives Denken, viel Arbeit aber auch Leidenschaft und Hingabe voraus. Ihre jahrelange Suche nach einer verschollenen Stadt gegen die Anfeindungen der etablierten Archäologie und zahlreiche materielle Widerstände liest sich dank des ironischen und farbenreichen Stils Hans Peter Duerrs wie ein spannendes Abenteuer, das gleichzeitig an wissenschaftlicher Gründlichkeit nicht zu wünschen übrig lässt.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Hans Peter Duerr, "Rungholt. Die Suche nach einer versunkenen Stadt", Insel Verlag, ISBN 3458172742