Indischer Dichter und Universalgelehrter

Rabindranath Tagore

Rabindranath Tagore, indischer Dichter und Universalgelehrter, war in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Europa und den USA eine Kultfigur. Tagore war Vorkämpfer für Toleranz und Verkünder eines erneuerten spirituellen Lebens.

Albert Schweitzer nannte ihn den Goethe Indiens. Er war ein leidenschaftlicher Weltbejaher, sinnenhaft der Erde zugewandt mit dem Blick in den Himmel. Für seinen Gedichtband "Gitanjali" (Liedopfer) erhielt Tagore 1913 als erster Schriftsteller außerhalb des westlichen Kulturkreises den Nobelpreis für Literatur.

Tagore gilt seitdem als Figur der Weltliteratur und wird mit Shakespeare, Goethe und Dante verglichen. Weltweit wurde der Freund und Förderer Mahatma Gandhis auf seinen zahlreichen Auslandsreisen gefeiert und geehrt.

Sohn einer Industriellenfamilie

Rabindranath Tagore wurde 1861 als 14. Kind einer hoch angesehenen Industriellenfamilie in Kalkutta geboren. Schon als Kind begann Rabindranath unter dem Einfluss der Eltern Lieder zu komponieren und zu dichten.

Die Familie schätzte die bengalische Tradition der religiösen Wandermusiker, der so genannten Bauls. 2205 Lieder hat Tagore bis zu seinem Lebensende verfasst, ein Teil davon ist noch heute auf bengalischen Radiostationen zu hören.

Vom Leid betroffen und sozial engagiert

Mit 30 Jahren zieht Tagore aus dem Elternhaus aus und heiratet eine junge Frau, die bereits zehn Jahre nach der Hochzeit an einer Krankheit sterben sollte.

Als Gutsverwalter der elterlichen Besitzungen in Westbengalen lernt Tagore das schreckliche Schicksal der Bauern und Handwerker kennen, das ihn zutiefst berührt. Die Begegnungen mit Armut und Not verarbeitet er in zahlreichen Kurzgeschichten und Theaterstücken. Darin erzählt er von den Konflikten zwischen Landbesitzern und Landlosen, zwischen Männern und Frauen und über das Leben in den Dörfern.

Armutsbekämpfung

Tagore schrieb nicht nur für Gerechtigkeit - er engagierte sich auch sozial für die arme Landbevölkerung. Er entwickelt Programme zur Bekämpfung der Armut.

Tagore gründet auch eine Schule, in der die Kinder der Armen ganzheitlich ausgebildet wurden und sich von den Vorbildern ihrer Lehrer inspirieren konnten.

Religiös und leidenschaftlich

Auf religiösem Gebiet tritt er in die Fußstapfen seines Vaters: Rabindranath will eine Erneuerung des Hinduismus. Vehement wendet er sich gegen die verbreitete hinduistische Praxis der Frühheirat, der Mitgift und der Witwenverbrennung. Auch Tieropfer, Heiligenkulte und Bilderverehrung lehnt Tagore ab. Deswegen ist als "Bilderstürmer" und auch als "Protestant des Hinduismus" bezeichnet worden.

"In gewisser Weise näherte er sich in seiner 'Religion eines Künstlers' (Tagore) einem christlichen Gottesverständnis an", so sein Übersetzer Martin Kämpchen. Tagore sah Gott im Alltag wirken, er sah ihn in den Armen und Gottesdienst war für ihn tätige Solidarität in Gemeinschaft mit den Armen.

Ein Nobelpreis mit Signalwirkung

Für seinen Gedichtband Gitanjali erhält Rabindranath Tagore 1913 den Nobelpreis für Literatur. Diese Weltsensation verändert nicht nur sein Leben sondern auch das Leben einer ganzen Nation. Denn damals steht überall in der Welt die Kolonialherrschaft noch in Hochblüte, was nicht nur mit politischer, sondern meist auch mit kultureller Unterdrückung verbunden ist.

Wenn die so genannte reiche "Erste Welt" einen Dichter aus der so genannten "Dritten Welt" mit dem höchsten Preis auszeichnet, den sie zu vergeben hat, hat das Signalwirkung. So wird Tagore im Zuge dessen zur Stimme aller unterdrückten kolonialisierten Völker.

Begegnungen mit Freud und Zweig

Nach dem 1. Weltkrieg unternimmt er neun Weltreisen. Im Zuge dessen kommt er auch drei Mal nach Deutschland, wo er mit Albert Einstein zusammentrifft. In Österreich begegnet er Sigmund Freud und Stefan Zweig.

Tagore ist ein begeisterter Internationalist und will mit Dichtung, Musik, Tanz und Mystik Brücken bauen, die die Völker miteinander verbinden. Am 7.August 1941 starb Rabindranath Tagore im Alter von Achtzig Jahren. Noch an seinem Sterbetag hat er Gedichte diktiert.

Hör-Tipp
Logos, Samstag, 22. Juli 2006, 19:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipps
Rabindranath Tagore, "Das Goldene Boot", Hrsg. u. übersetzt von Martin Kämpchen, Winkler Weltliteratur 2005, ISBN 3538069883

Rabindranath Tagore, "Liebesgedichte"; Hrsg. u. übersetzt von Martin Kämpchen, Insel Verlag 2005, ISBN 3458346880

Martin Kämpchen, "Franziskus lebt überall. Seine Spuren in den Weltreligionen", Echter Verlag 2002, ISBN 3429024331

Martin Kämpchen, "Dialog der Kulturen. Eine interreligiöse Perspektive", Nordhausen Verlag 2006, ISBN 3883093208

Links
Wikipedia - Rabindranath Tagore
Martin Kämpchen