Kolumne von Janko Roettgers

Alte Freunde

Friendster war das erste soziale Netzwerk, das seinen Nutzern das Anlegen von Freundeskreisen ermöglichte. Die Popularität dieses Netzewerkes ist jedoch stark gesunken. Mithilfe eines Patentes könnte Friendster seine alte Stellung zurückerobern.

Ach ja, das waren noch Zeiten. Damals, in der Unterstufe. Unter der Nase des Lehrpersonals wurden unzählige krakelige Geheimbotschaften ausgetauscht. Erst nur harmlose Scherze, die zu jeder Menge unterdrücktem Gekicher führten. Dann mehr oder weniger plumpe Komplimente. Und schließlich die unvermeidbare Frage: "Willst du mit mir gehen?" Dahin gekritzelt mit farblich stimmigem Filzstift auf Matheheft-Karo-Papier, und kombiniert mit einer Multiple-Choice-Auswahl zum Ankreuzen: Ja, nein, vielleicht.

Die letzte Möglichkeit war natürlich stets die unbefriedigendste - was vermutlich einer der Gründe dafür ist, dass sie einem sonst so selten in Anbandelungs-Angelegenheiten angeboten wird.

Doch das Multiple-Choice-Schema ist nicht nur unter Zwölfjährigen beliebt. Vor drei Jahren machte ein Internet-Startup daraus sogar ein Business-Modell: Friendster war das erste populäre soziale Netzwerk, das seinen Nutzern das Anlegen von Freundeskreisen ermöglichte.

Jeder Kontakt begann ganz wie in der sechsten Klasse mit der unvermeidlichen Frage: Bist du mein Freund? Wer darauf mit ja antwortete, wurde Teil eines eng gestrickten Freundschafts-Netzwerk, das zum Rumalbern, Flirten und Anbandeln genutzt werden konnte. Ganz wie in der Unterstufe. Friendster bekam damit innerhalb weniger Monate Millionen neuer Freunde.

Doch niemand bleibt ewig zwölf - auch nicht Internet-Nutzer Mitte zwanzig, die sich wünschen, sie wären immer noch Jugendliche. Friendsters Aufstieg wurde jäh gestoppt, als Myspace auf dem Internet-Pausenhof auftauchte. Der simple Grund: Myspace war einfach reifer.

Während Friendster uns alle wie Zwölfjährige behandelte, ließ uns Myspace viel, viel älter aussehen. Vierzehn, um genau zu sein. Friendster sah von Anfang an nett und harmlos aus. Myspace dagegen war und ist wild: Es erlaubt seinen Nutzern, die eigenen Seiten mit bunten, blinkenden Bildern zu unterlegen. Und es besitzt, was alle Teens zum Abgrenzen von gar nicht so viel jüngeren Kindern nutzen: Musik.

Alle wichtigen und zahllose unwichtige Musiker besaßen ihre eigenen Myspace-Webseiten. Ein paar Mausklicks, und man war Freund von Coldplay. Was zugegebenermaßen doch um einiges cooler ist als die vergeblichen Liebesmühen eines Zwölfjährigen.

Myspace wurde mit diesem Rezept zu einem der erfolgreichsten Internet-Angebote. Nur Yahoo verzeichnet mit all seinen Web-Diensten zusammen immer noch mehr Nutzer als Myspace. Friendster versank dagegen in der Bedeutungslosigkeit. Die Seite bemühte sich zwar lange, ihre Stamm-Nutzer mit neuen Angeboten zu ködern. Ein neues Layout, Blogs, Videos, ein Radio-Dienst - doch all das war vergebene Liebesmüh. Keiner wollte mehr an seine alten Friendster-Romanzen erinnert werden.

Jetzt ist Friendster plötzlich wieder im Rampenlicht. Die Firma hat ein paar alte Dokumente entdeckt. Unangenehme alte Dokumente. Nein, keine Angst, keine Liebesbriefe von Sechstklässlern. Für Friendsters Konkurrenten könnte die Entdeckung dennoch ähnlich unangenehm sein.

Friendster bekam vor ein paar Tagen ein Patent zugesprochen, das zahlreiche Funktionen sozialer Netzwerke umfasst. In der Patentschrift heißt es wörtlich: "Die vorliegende Erfindung bietet ein System zum Vernetzen von Nutzern auf der Basis einer Online-Datenbank. Es erlaubt das Berechnen, Darstellen und Durchsuchen sozialer Netzwerke. Außerdem regt es den Austausch von Nutzern an, die über ein soziales Netzwerk miteinander verbunden sind."

Die Patentschrift geht noch ein wenig mehr ins Detail. Beschreibt, wie Nutzer sehen können, über wie viele Freunde sie mit jemandem verbunden sind, und wie über solche Verbindungen wiederum neue Kontakte erstellt werden können. Funktionen, die zweifellos Teil des Friendster-Universums sind. Doch heute finden sie sich auch bei Myspace, OpenBC oder Thefacebook. Selbst Foto-Webseiten wie Flickr setzen auf Komponenten, die sich im Friendster-Patent wieder finden.

Die Verleihung des Patents hat deshalb im Netz für einige Unruhe gesorgt. Friendster selbst spielt den Vorfall bisher herunter. Das Patent wurde demnach vor drei Jahren auf Anregung eines Investors vom ehemaligen Chef der Webseite beantragt. Zwischenzeitlich habe man die Angelegenheit komplett aus den Augen verloren und sei deshalb jetzt selbst ziemlich überrascht. Das hört sich ein bisschen an die Antwort eines Teenagers an, der an seine frühen Jugendsünden erinnert wird. Was, ich hab früher mal Polohemden mit hochgekrempeltem Kragen getragen? Na so was!

Der wichtigste Unterschied: Schlechter Geschmack zu Beginn der Pubertät ist verzeihbar. Patente sorgen dagegen selten für Einvernehmen. Insbesondere, wenn der Patent-Halter sie zum Geld verdienen nutzen will. Friendster-Chef Kent Lindstrom erklärte gegenüber der Business Week, dass er noch nicht wisse, was seine Firma mit dem überraschenden Geschenk des US-Patentamts vorhabe.

In Lindstroms Worten: "Jeder normale Geschäftsmann würde sagen: Hey, wir werden damit so viel Geld eintreiben wie wir können. Aber wir arbeiten in einer Gemeinschaft von Firmen - und wir wollen keine Probleme machen, wenn es dafür keinen Grund gibt."

Das dumme daran: Gründe gibt es für Friendster wahrlich genug. Die Firma versuchte sich im letzten Jahr am Verkauf der eigenen Webseite. Kaufen wollte sie jedoch niemand. Teenie-Schwärme sind eben vergänglich - selbst für jung gebliebene Siebzigjährige wie Rupert Murdoch, der im letzten Jahr 580 Millionen US-Dollar für Myspace auf den Tisch legte.

Zwar bekam Friendster Anfang des Jahres noch einmal eine neue Finanzspritze. Doch wir wissen ja, wie das mit Teenagern ist: Das Taschengeld reicht jeden Monat vorn und hinten nicht. Und wenn dann plötzlich Ebbe im Portemonnaie herrscht, sind Teenies alle Mittel recht. Zur Not werden eben die älteren Geschwister mit längst verschollen geglaubten Liebesbriefen erpresst. Was für Myspace und Flickr ziemlich unangenehm werden könnte.

Janko Röttgers ist freier Journalist mit Wohnsitz in Los Angeles und berichtet für deutschsprachige Medien über Technologie- und Wirtschaftsthemen. Er ist Autor des 2003 im Telepolis Verlag erschienenen Buches "Mix, Burn & R.I.P. - Das Ende der Musikindustrie".

Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 23. Juli 2006, 22:30 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Links
Friendster
Myspace
http://www.flickr.com/Flickr
OpenBC
Thefacebook

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