Das neue Verständnis von Leben
Biosemiotik
Lebensprozesse werden in den biologischen Wissenschaftsdisziplinen anhand chemischer und physikalischer Gesetzmäßigkeiten beschrieben. Die Biosemiotik versteht Leben als Kommunikation über Systeme von Zeichen.
8. April 2017, 21:58
Biosemiotik versteht Leben als Kommunikation über Systeme von Zeichen. Das betrifft sichtbare, hörbare und riechbare Zeichen ebenso wie chemische Moleküle, elektrische Reize oder Berührungsreize.
Biosemiotiker, die aus den verschiedensten Fachrichtungen kommen, eint eines: sie sind unzufrieden mit der wissenschaftlichen Beschränkung auf Daten. Zusammenhänge kommen ihrer Meinung nach zu kurz.
Mit gängigen Erklärungen unzufrieden
Ein großer Stein des Anstoßes neue Wege zu gehen waren für den Biochemiker Jesper Hoffmeyer, er gilt als einer der Väter der Biosemiotik und lehrt an der von der Universität in Kopenhagen, die Versprechungen, die im Zusammenhag mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms gemacht wurden.
"Die Leute haben gedacht, dass das Humangenomprojekt uns letztendlich zu einem Verständnis der menschlichen Natur führen wird. Ich habe von Anfang an gesehen, dass das nicht der Fall sein wird. Jetzt, wo sie das Projekt abgeschlossen haben, sehen sie ihren Irrtum ein. Denn es ist viel komplexer. Der Körper muss die Gene immer wieder anders interpretieren, damit einmal eine Leberzelle entsteht, dann eine Nervenzelle oder eine Hautzelle. Das Interessante ist also die Interpretation und das ist Semiotik", meint Hoffmeyer.
Auch Tiere und Pflanzen kommunizieren
Die Biosemiotik hat ihre Wurzeln in der Zoosemiotik, die sich seit den 1960er Jahren mit Verständigungsprozessen von Singvögeln, Hunden oder Bären beschäftigt.
Dass Tiere über Zeichen kommunizieren, das hat eindruckvoll auch der österreichische Nobelpreisträger Karl von Frisch an Bienen nachgewiesen. Aber nicht nur Tiere und Pflanzen kommunizieren hoch komplex, sondern auch kleinere biologische Einheiten wie Gene.
Die Beeinflussung von Genen
Der amerikanische Radioonkologe Randy Jirtle von der Duke University in North Carolina untersucht geprägte Gene. Bei diesen Genen ist entscheidend, ob sie vom Vater oder von der Mutter stammen. Denn eine Kopie wird in der Embryonalentwicklung stumm geschaltet. Läuft dabei etwas schief, können schwere Krankheiten wie Krebs entstehen.
Jirtle hat festgestellt, dass beim Stummschalten einer Genkopie die Ernährung eine Schlüsselrolle spielt. Denn beim Stummschalten eines Gens spielt die so genannte Methylierung eine Schlüsselrolle.
"Dabei wird an das Gen eine Methylgruppe angehängt. Die Bildung von Methylgruppen läuft ausschließlich über die Nahrung, über Folsäure, Cholin oder Vitamin B12. Die Nahrung der Mutter kann also die geprägten Gene des Kindes beeinflussen. Die Nahrung kann auch andere Gene beeinflussen, die von außen reguliert werden."
Mehr als nur einen Code
Der Embryologe Marcello Barbieri von der Universität Ferrara ist überzeugt, dass man mit dem genetischen Code allein die Entstehung von Leben nicht erklären kann. Es müsse noch andere Codes geben. Er nimmt an, dass es eine Reihe von so genannten Organischen Codes gibt, über die wichtige kommunikative Prozesse ablaufen.
Laut Barbieri müssen wir von einer Biologie wegkommen, in der es nur den genetischen Code gibt, hin zu einer Biologie mit vielen Codes.
Proteinlinguistik
Wir verstehen wenig von Genen, und noch weniger von Proteinen. Ein neuer Ansatz, Proteine besser zu begreifen, ist die Proteinlinguistik. Mit dieser Methode sucht man bei Proteinen nach Aufbauregeln - Ähnlich wie bei der menschlichen Sprache. Man will die Sprache der Zelle grammatisch und semantisch entschlüsseln, erklärt der Genetiker Mario Gimona.
Was sehr theoretisch klingt, wird schon praktisch ausprobiert. Man dreht zum Beispiel einen Signalweg in einem Protein um - so wie man Wörter in einem Satz umstellt - und das Ergebnis ist ein anderes. So versucht man die Funktion von Proteinen zu verstehen.
Mehr zu Biosemiotics 2006 in science.ORF.at
Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 17. Juli 2006, 19:05 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Link
6. Biosemiotik-Kongress