Manon-Liu Winter spielt Ustwolskaja und Brown
Meilensteine der Moderne
Die Russin Galina Ustwolskaja lebte während des Kalten Kriegs in innerer Emigration. Earle Brown beschritt musikalisches Neuland im Kreis der New Yorker Avantgarde. Musik dieser Komponisten spielt Manon-Liu Winter auf einer neuen CD.
8. April 2017, 21:58
Galina Ustwolskaja, Klaviersonate Nr. 4
Eine geheimnisvolle Aura umgibt die russische Komponistin Galina Ustwolskaja. Die 87-jährige Komponistin lebt zurückgezogen. Und sie spricht auch nicht gerne über Werke. "Es ist schwer, über die eigene Musik zu reden. Meine Begabung, Musik zu schreiben, stimmt mit meiner Begabung über meine Musik zu schreiben nicht überein", meint die Komponistin.
Schostakowitsch-Schülerin
Ausgebildet wurde die 1919 in St. Peterburg geborene Komponistin von Dimitri Schostakowitsch. Dieser schätze die Arbeiten seiner Schülerin sehr. Er schickte ihr sogar Werke, an denen er gerade schrieb, um ihr Urteil darüber einzuholen.
Schon früh fand Galina Ustwolskaja zu ihrer eigenen musikalischen Ausdrucksweise. Dazu gehören kontrapunktisch geführte Stimmen, klare, prägnante Motive oder auch starke dynamische Kontraste.
Wenig, aber gut
Das Oeuvre von Galina Ustwolskaja ist relativ schmal. Es umfasst fast zwei Dutzend Werke. Darunter sind fünf Symphonien und sechs Klaviersonaten. Der Komponistin ist es aber lieber weniger, aber in höchster Qualität zu schreiben, als viele mittelmäßige Stücke.
"Ich schreibe nur dann, wenn ich in einen Gnadenzustand gerate", so Ustwolskaja. "Danach ruht das Werk für eine Weile. Wenn dann seine Zeit gekommen ist, gebe ich es frei. Wenn nicht, vernicht ich es. Ich bestimme selbst den Weg meiner Werke."
Pionier Earle Brown
Viele Impulse für die Weiterentwicklung der Neuen Musik gingen vom amerikanischen Komponisten Earle Brown aus. Der 1926 in Massachusetts geborene Künstler befasste sich mit neuen Notationsformen und Aufführungstechniken.
Brown gilt als Erfinder der "offenen Form". Dabei ist das Material eines Stücks vorgeben und in einzelne Abschnitte unterteilt. Die Musikerin oder der Musiker kann selbst die Reihenfolge der einzelnen Teile bestimmen.
Seine Sammlung "Folio" (1952/53) ist rein grafisch notiert. Earle Brown legt hier die Deutung und Interpretation des "Notentextes" völlig in die der InterpretInnen.
Entfesselte Form
Die Idee, indeterminierte Musik zu erfinden, lag Anfang der 1950er Jahre offenbar in der Luft. Zur selben Zeit wie Earle Brown befassten sich auch John Cage und Morton Feldman damit.
Warum sich diese recht unterschiedlichen Vertreter der New Yorker Avantgarde damit beschäftigten, erklärte Earle Brown so: "Gemeinsam war uns der starke Einfluss von anderen Künsten. Das ist es, was unsere Musik so anders machte. Als wir uns kennen lernten, war das ein außerordentliches Erlebnis. Jeder von uns war so verbunden mit Malerei, Skulptur, Literatur, und da vor allem mit James Joyce."
Kunst als Inspiration
Der Einfluss der bildenden Kunst blieb eine wichtige Komponente in Earle Browns Schaffen. Er organisierte unter anderem Konzerte mit seinen und fremden Werken in Galerien und Museen. Auch das Konzept der "offenen Form" hat der 2002 verstorbene Amerikaner weiterentwickelt.
"Die offene Form ist eine Art Aktivierung des Bewusstseinsstroms", erläutert Brown. "Und vielleicht bin ich, anders als Boulez, sehr am Unterbewussten interessiert - daran, was an Ihrem Hintergrund eingespeist wird, wenn Sie mit meinen Partituren konfrontiert werden."
Hör-Tipp
Zeit-Ton, Freitag, 14. Juli 2006, 23:05 Uhr
CD-Tipp
Galina Ustwolskaja, "Sonate 4" und "Sonate 5; Earle Brown, Folio; Manon-Liu Winter- Klavier, ein klang records 020
Links
Sikorski - Galina Ustwolskaja
Wikipedia - Galina Ustwolskaja
ein klang - records
Earl Brown Music Foundation