Sunniten, Schiiten, Sufis und Modernisten

Der Islam

Die Berührung mit der Moderne und migrationsbedingte Wechselwirkungen verändern laufend die Lebenswelt der weltweit zirka 1,3 Milliarden Muslime. Vier Hauptrichtungen bestimmen das Schicksal der Religionsgemeinschaft.

Udo Steinbach über den frühen Islam

Vier große Strömungen prägen die Vielfalt des Islam: dem sunnitischen Islam gehören weltweit zirka 80 Prozent der Muslime an, dem schiitischen Islam und kleineren Gruppen etwa 20 Prozent.

Der mystische Islam der Sufis hat Anhänger in beiden Denkschulen, ebenso die vierte Strömung, der Reform-orientierte Islam, der sich der Moderne öffnet.

Das Zentrum der Sunniten

Wichtigste Autorität der Sunniten ist die Al-Ázhar-Universität in Kairo. 971 gegründet, ist sie wahrscheinlich die älteste Universität der Welt. Eine allgemein verbindliche Autorität gibt es aber weder im sunnitischen, noch im schiitischen Islam.

Diese Flexibilität ist ein Vorteil, sie macht es aber auch schwierig, eine einheitliche Linie zu wichtigen Fragen zu finden. Im Kontakt mit europäischen Behörden oder internationalen Gremien fehlen oft Ansprechpartner, die für alle Muslime verbindlich sprechen können.

Die Scharia

Der Koran ist die wichtigste Quelle der Scharia, des islamischen Gesetzes. Es dient in vielen muslimischen Ländern neben säkularem Recht weiterhin als Quelle der Gesetzgebung und Rechtsfindung.

Menschenrechtsexperten kritisieren das, weil zur Scharia nach klassischem Verständnis auch drastische Körperstrafen gehören. Dass jedoch Scharia-Urteile fast immer zum Nachteil von Frauen gefällt werden, widerspreche dem Geist und den Regeln des Islam, sagt Saleha Mahmood, eine Soziologin aus Saudi-Arabien. Die selektive Anwendung einzelner Scharia-Bestimmungen werde zur Erhaltung patriarchaler Machtstrukturen missbraucht.

Die Entstehung des schiitischen Islam

Der schiitische Islam entstand aus der Diskussion um die Nachfolge des Propheten Muhammad. Sein Schwiegersohn Ali, dessen Frau Fatima und deren Nachkommen, die schiitischen Imame, sind die Leitfiguren dieser Richtung. An eine Folge von zwölf Imamen glaubt die Hauptströmung, die sog. "Zwölfer-Schia", die im Iran und Irak die Mehrheit bildet.

Die Ismailiten oder "Siebener-Schiiten" anerkennen sieben Imame, von denen ihr Oberhaupt, der Aga Khan, seine Abstammung herleitet. Die "Fünfer-Schiiten" oder Zaiditen stehen theologisch zwischen Sunna und Schia. Sie regierten mehr als 500 Jahren lang den Jemen, erst 1962 wurde der konservative Imam-König abgesetzt.

Die Alawiten

In Syrien, einem mehrheitlich sunnitischen Land mit großer christlicher Minderheit, steht die schiitische Gemeinschaft der Nusairier, auch Alawiten genannt, an der Spitze des Staatsapparates.

Einige religiöse Gemeinschaften, die aus der Schia hervor gingen, entwickelten esoterische Lehren, und manche gingen so weit, Ali zu vergöttlichen. Diese werden von der Hauptströmung der Schia und von den Sunniten nicht mehr als Muslime anerkannt.

Geheimlehre der Drusen

Die Drusen, die sich im 11. Jahrhundert von den Ismailiten abspalteten, entwickelten eine Geheimlehre. Sie leben hauptsächlich in Teilen des Libanon, Syriens und Israels.

Bei den türkischen Aleviten scheint das Bedürfnis zu überwiegen, sich als eigene Glaubensgemeinschaft zu definieren. Islamische Gebote sind bei ihnen in den Hintergrund getreten. Zwischen 15 und 20 Prozent der türkischen Bevölkerung gehört dem Alevitentum an. Unter den aus der Türkei stammenden MigrantInnen in Europa dürfte der Anteil der Aleviten über 20 Prozent liegen.

Die mystische Tradition des Islam

Der Sufismus verkörpert die mystische Tradition des Islam. Etwa ab dem 12. Jahrhundert entstand eine Vielzahl von Sufi-Orden, die bis heute in muslimischen Ländern weit verbreitet sind. Durch die Sinnsuche des modernen Menschen hat der Sufismus auch im Westen Anhänger gefunden.

Sowohl muslimische Mehrheitsgesellschaften als auch muslimische MigrantInnen im Westen sehen sich heute modernen Herausforderungen gegenüber. Eine produktive inner-islamische Debatte der Erneuerung wäre notwendig - sie wurde jedoch bisher von der Auseinandersetzung um politische Ereignisse in und um die islamische Welt verdrängt.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 10. Juli bis Donnerstag, 14. Juli 2006, 9:05 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendereihe "Radiokolleg" (mit Ausnahme der "Musikviertelstunde") gesammelt jeweils am Donnerstag nach Ende der Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.

Links
religion.ORF.at - Lexikon Islam
Wikipedia - Islam
Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich