Schriftsteller und Mediziner Gotffried Benn

Der Poet mit dem Skalpell

Gottfried Benn gilt als einer der bedeutendsten Lyriker des 20. Jahrhunderts. Er wurde am 2. Mai 1886 in geboren und starb am 7. Juli 1956. Rückblickend erscheint die moderne Lyrik ohne die Gedichte des promovierten Mediziners undenkbar.

Als Gottfried Benn vor 50 Jahren starb, galt der Schriftsteller mit dem kühl-sezierenden Blick als Übervater der deutschen Nachkriegslyrik.

1886 in brandenburgischen Mansfeld geboren, war Gottfried Benn vor dem Ersten Weltkrieg zum Sensationsautor des Expressionismus geworden. Als radikal ungemütlicher Konservativer versuchte sich der "Unberührbare" in der Weimarer Republik neu zu positionieren.

Und dann - 1933/34 - der moralische Sündenfall des Spracherneuerers: Gottfried Benn diente sich den Nationalsozialisten an und verhöhnte die Emigranten. Erst in der Bundesrepublik feierte der zwiespältige Dichter sein grimmig zur Kenntnis genommenes Comeback.

Kein hauptberuflicher Dichter

Gottfried Benn war nach eigenem Selbstverständnis zwar Dichter im emphatischen Sinn, aber kein hauptberuflicher Schriftsteller. Der Dichter studierte Medizin, arbeitete als Unterarzt an der Berliner Charité, setzte als Schiffsarzt nach New York über, war als Sanitätsarzt im Kriegsdienst und führte als Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten eine Praxis in Berlin.

Ein prägender Lebenseinschnitt

Das Jahr 1912 verändert das Leben Gottfried Benn entscheidend: Die Mutter stirbt qualvoll an Krebs, weil der gottesfürchtige Vater die Gabe von Morphium verbietet - und Gottfried Benn betritt mit einem expressionistischen Paukenschlag die literarische Bühne.

Mit seinem Gedichtzyklus "Morgue" erregt der literarische und politische Antipode Bertolt Brechts großes Aufsehen in avantgardistischen Kreisen. Es handelt sich um lyrische Sektionen, die den menschlichen Körper und seinen Verfall schonungslos freilegen; geschrieben unter dem Eindruck des Leichen-Öffnens im Moabiter Krankenhaus.

Kein stolzes Ich, sondern nur eine arme Kreatur

Unter Benns poetischem Skalpell quellen das Blut und der Eiter, tauchen wuchernde Krebsgeschwüre und Ratten auf, die an der Leber einer Wasserleiche nagen. Das ist nicht das stolze Ich, von dem die Aufklärungsphilosophie spricht. Eine arme Kreatur, von Bakterien oder Tumorzellen binnen kürzester Zeit dahingerafft, so zeichnet der Poet mit dem Skalpell seinen Menschen.

"Kleine Aster", "Schöne Jugend", "Requiem", "Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke": In Gottfried Benns physiologischen Tableus überlagern sich Kirchenlied und Obduktionsbefund, sind Rattennester in Liebeslieder eingebaut.

Die Rönne-Novellen

Bei Kriegsdausbruch im August 1914 wird Benn als Militärarzt einberufen. Der Erste Weltkrieg wird für ihn zur Rettung, so paradox das klingt. Herausgerissen aus dem bürgerlichen Berufsalltag, in dem er sich nicht zu behaupten vermag, findet Gottfried Benn in der Ausnahmesituation Krieg zu sich selbst zurück.

Er ist die nächsten Jahre in einem Brüsseler Prostituiertenkrankenhaus stationiert. Dort hat Benn reichlich Freizeit und schreibt so viel wie nie zuvor. In Brüssel entstehen zwischen 1914 und 1917 die "Rönne-Novellen", sechs Prosatexte, in denen Benns literarisches Alter Ego, ein gewisser Dr. Rönne, aus dem ärztlichen Milieu ausbricht und sich gleichzeitig mit den Erkenntnissen der modernen Gehirnforschung auseinandersetzt.

Die Aufwertung des Geistes

In den Zwischenkriegsjahren führt Benn eine Praxis für Haut -und Geschlechtskrankheiten in Berlin. Ab 1937 arbeitet er als Versorgungsarzt im Oberkommando der deutschen Wehrmacht als Gutachter für Fürsorge- und Rentenfragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt er seine Berliner Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten wieder auf.

Die Medizin wird auch in seinem Spätwerk eine Rolle spielen, wenngleich eine weniger existenzielle. Neben der Fixierung auf die somatischen Bedingungen der Person tritt ab den 1920er Jahren die Aufwertung des "Geistes", den Gottfried Benn vollständig von der Gebundenheit an den Leib lösen will.

Gottfried Benn stirbt am 7. Juli 1956 in Berlin - an Knochenkrebs. In seinem 1912 verfasstem Gedicht Blinddarm schreibt er: "Wütend klappert und knirscht mit den Backen / der Tod und schleicht in die Krebsbaracken."

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Hör-Tipp
Du holde Kunst, Sonntag, 22. Oktober 2006, 8:15 Uhr

Buch-Tipps
Gottfried Benn, "Das Jahrhundertewerk, sämtliche Gedichte", Klett-Cota, ISBN 3608937277

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Gottfried Benn, "Gedichte", Reclam, ISBN 3150084806

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