Lobbyismus als Zukunft
Sozialpartnerschaft
Die Sozialpartnerschaft ist ein österreichisches Markenzeichen, wie die Neutralität oder der Wiener Walzer. Sie ist nicht nur lieb gewonnenes Klischee, sondern auch ein wirtschaftliches Erfolgsmodell. Doch vom ÖGB hängt ab, wie sie weitergeht.
8. April 2017, 21:58
Wirtschaftssoziologe Univ. Prof. Mag. Dr. Franz Traxler
Zahlreiche Ökonomen haben die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern einerseits, sowie Wachstum, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit auf der andern Seite in verschiedenen Ländern untersucht. Das Ergebnis: Länder mit intakten Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, mit wenigen Streiktagen, solche Länder haben ein höheres Wirtschaftswachstum und weniger Arbeitslosigkeit. Und - so ein weiteres Ergebnis - eine starke und zentrale Gewerkschaftsbewegung ist gut für intakte Arbeitsbeziehungen.
Nun ist der Österreichische Gewerkschaftsbund durch den BAWAG-Skandal in eine ernsthafte Krise geraten: Zwei Milliarden Euro Schulden, Teilgewerkschaften und Landesorganisationen fordern mehr Selbständigkeit, SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer will keine Spitzengewerkschafter mehr im Parlament haben. Eine der tragenden Säulen der Sozialpartnerschaft scheint bröckelig zu werden. Kann die Sozialpartnerschaft mit einem krisengebeutelten ÖGB noch funktionieren?
Sicherheit als Entwicklungsbremse
Die Sozialpartnerschaft hat sich nach dem zweiten Weltkrieg etabliert. Für den Wiederaufbau, das folgende Wirtschaftswachstum und den Wohlstand in Österreich hat sie einen wichtigen Beitrag geleistet, das ist unter Wirtschaftsforschern unumstritten. Der Konsens zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Fragen der Wirtschaftspolitik habe für Stabilität gesorgt, die Lohnforderungen der Gewerkschaft seien mit den betriebwirtschaftlichen Bedingungen der Unternehmen grundsätzlich vereinbar gewesen, das habe Investoren Sicherheit gegeben, sagt Alois Guger vom Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO.
Dass in Österreich daher kaum gestreikt wurde, wurde aber auch kritisiert: Gerade zu Zeiten der Großen Koalition wurde den Sozialpartnern vorgeworfen, eine Nebenregierung zu sein, die niemand gewählt habe und die hinter verschlossenen Türen Entscheidungen treffe. Seit dem EU-Beitritt 1995 hat der Einfluß der Sozialpartnerschaft abgenommen, denn inhaltlich werden viele Bereiche der Sozial- und Wirtschaftspolitik in Brüssel koordiniert. Auch mit dem Ende der Großen Koalition im Jahr 2000, sei der Einfluß gesunken, sagen die Wirtschaftsforscher.
Kompetenzabgaben
Innerhalb der Sozialpartner-Organisationen hat sich ebenfalls einiges verändert: Die Landwirtschaftskammer hat an Bedeutung verloren, weil immer weniger Menschen in der Landwirtschaft arbeiten und die Hauptkompetenz in Sachen Agrar in Brüssel ist. Auch die Wirtschaftskammer hat Anfang 2000 eine Reform angepackt und deutlich abgespeckt.
Die BAWAG-Krise hat nun den Impuls für die Reform des ÖGB gegeben. Der stand aber schon vor Krise vor einer inhaltlichen Herausforderung, sagen die Wirtschaftsforscher - weil die Industrie in Europa an Bedeutung verloren hat und Dienstleistungen immer wichtiger wurden, dadurch gäbe es mehr freie oder unregelmäßige Dienstverhältnisse, was die Mitgliederrekrutierung für die Gewerkschaft erschwere. Ein Problem, das viele Gewerkschaften in Europa haben.
Neuauslegungen
Wie könnte also es mit der Sozialpartnerschaft weiter gehen? Die Zerreißprobe betreffe das Herzstück der Sozialpartnerschaft, die Lohnverhandlungen, sagt Guger. Viele Unternehmer fordern, dass die Lohnverhandlungen nicht mehr von der Gewerkschaft auf Branchenebene, sondern von den Unternehmen selbst geführt werden. Wäre das der Fall, wäre die Logik der Sozialpartnerschaft in Frage gestellt, sagt der Gewerkschaftsexperte Franz Traxler von der Uni Wien: Lohnvereinbarungen bloß auf Betriebsebene seien noch keine Sozialpartnerschaft. Erst wenn es ganze Branchen sind, dann habe dies Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft, auf das Einkommensniveau oder die Inflation.
Lobbyismus könnte also das Stichwort sein, das die Rolle der Sozialpartnerschaft künftig definiert, denn die großen Themen der Sozial- und Wirtschaftspolitik werden zunehmend auf europäischer Ebene entschieden. Auf nationaler Ebene bleiben die Lohnverhandlungen entscheidend, hauptsächlich an ihnen werden die Sozialpartner ihre Muskelkraft messen. Die Sozialpartnerschaft selber ist laut Wirtschaftsforscher deshalb nicht in Frage gestellt - aber als planendes und koordinierendes Element zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber rutscht sie unweigerlich von der nationalen auf die europäische Ebene - mit oder ohne BAWAG- und ÖGB-Krise.
Mehr zu 60 Jahre Wirtschaftskammer in oe1.ORF.at
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Saldo, Freitag, 7. Juli 2006, 9:45 Uhr
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