15 ungewaschene stories
Blut & Bier
Die Geschichten in Franz Xaver Kroetz' neuem Erzählband handeln allesamt von Dichtern zwischen Berühmtheit und Bedeutungslosigkeit, Großspurigkeit und Verzweiflung, Kreativität und Krise. "Ungewaschene stories" nennt sie der Autor.
8. April 2017, 21:58
"Es ist doch das wilde Ufer, das man erreichen muss. Dann ist man ein Künstler, dann kann man schreiben!" sagt der Schriftsteller zu seiner Frau - und träumt davon, alles wäre wieder wie früher. Die Einfälle würden ihm wieder zufliegen, die Geschichten - hingefetzt "in Ekstase". Stattdessen sitzt er in seiner Villa, trinkt teuren Rotwein und starrt seinen PC an. In "diesem gottverdammten Reichtum kann doch kein Mensch schreiben!", sagt er - und will raus hier, umziehen, nach Berlin, in einen Plattenbau, und dort ganz neu anfangen: "Ohne Auto, ohne PC, ohne Zähne, ohne Angst!"
"Umzug nach Berlin" heißt diese Kurzgeschichte von Franz Xaver Kroetz, und es ist nicht die einzige seines neuen Erzählbandes, die von einem Schriftsteller handelt, einem Schriftsteller zwischen Berühmtheit und Bedeutungslosigkeit, Großspurigkeit und Verzweiflung, Kreativität und Krise, zwischen gestern und heute, träumend vom alten Erfolg, vom neuen Leben, vom "wilden Ufer".
Genie und Arschloch
Drastisch, witzig und voller Sarkasmus intoniert Kroetz immer wieder das alte Thema vom Dichter als Genie, als Arschloch, als Versager, als bad boy, porträtiert in kurzen Erzählungen, die der Autor "ungewaschene stories" nennt. "Die sind nicht redigiert", erklärt er dazu. "Die sind hingeschrieben und sind wie das Manuskript gedruckt worden."
Entstanden sind die "stories" schon vor etlichen Jahren - auf einer Asienreise mit seiner Familie, bei der sich Kroetz vornahm, jeden Tag eine Geschichte in die Reiseschreibmaschine zu hämmern. "Da war ich gut aufgelegt, locker, leicht, fröhlich", erzählt Kroetz.
"Fröhlich" sind sie eigentlich nicht, die "ungewaschenen stories" über Schriftsteller, die schlecht schlafen, zu viel saufen und sich beschissen fühlen, die ihr Elend kultivieren, verzweifelt wieder zurück in die Erfolgsspur wollen und ihre Familie tyrannisieren, die "für sich privat" beschließen, "dass zu viel Hoffnung der Kunst schadet".
Total veraltete Säufervisage
In der Erzählung "Der alte Mann und das Hotelzimmer" geht es um einen trinkfesten Schriftsteller mit junger Familie, der im Spiegel seine "magere Säufervisage" betrachtet, sich "total veraltet" fühlt und den Tag im Bett verbringt. Auch in "Seine beste Story" geht es weniger um Geschriebenes, als um Ungeschriebenes, um den genialen Einfall, den der Dichter partout nicht zu Papier bringt.
In "Loch in Tirol" schließlich wird der Dichter von seiner Frau, seinem "Eheloch", wie er sagt, verlassen, weil er sie betrog mit der Schwiegermutter, einer Matrone mit Brüsten, "fleischig wie Tiroler Speckknödel"; und in einer anderen Erzählung lässt er sich von seiner jungen Frau, die ihm alles abnimmt, Kinder, Küche, Einkauf, rundum bedienen und anhimmeln, um dann, abends im Bett, sich über einen "total leeren Tag" zu beklagen.
Männer zwischen Frust und Suff
Franz Xaver Kroetz hat sich immer wieder Pausen und Krisen genommen - und ist doch einer der produktivsten deutschen Schriftsteller: Gedichte, Romane, Tagebücher, Erzählungen - und vor allem natürlich Theaterstücke. Doch der Dramatiker Kroetz geriet aus der Mode, politisches Theater war out.
Jetzt aber scheint Franz Xaver Kroetz, gerade sechzig geworden, wieder im Geschäft zu sein - als Regisseur am Bayerischen Staatsschauspiel, wo er nach Jörg Grasers Farce "Servus Kabul" auch eigene Einakter herausbringen will, die er "TV-Massaker" nennt; und als Autor, der mittlerweile von Suhrkamp zu Rotbuch gewechselt ist, wo neue Theaterstücke und alte Erzählungen erscheinen: die "Blut & Bier"-stories, die der Autor für viel weniger bissig und böse hält als der Rezensent.
Ob man die "Helden" in "Blut & Bier", die Dichter, die mehr und mehr zu Dichter-Darstellern werden, nun als Verwandte des Autors sieht oder nicht: Fest steht, dass Kroetz mit diesen Geschichten über Männer zwischen Frust und Suff, Alpträumen und Selbstdarstellungspose, zwischen Lethargie und Wutanfall unterhaltsam-knappe, grotesk-komische und pointensichere Texte gelungen sind.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Buch-Tipp
Franz Xaver Kroetz, "Blut & Bier. 15 ungewaschene stories", Rotbuch Verlag, ISBN 3434531440