Tariq Alis purer Anti-Amerikanismus

Piraten der Karibik

Tariq Ali ist ein eloquenter, aber knochentrockener Gegner neoliberaler Politik. Warum politische Alternativen zum Neoliberalismus allerdings ausgerechnet in Südamerika zu finden sein sollen, ist nicht nachvollziehbar.

Die Desillusion und der Zynismus der Zeit nach 1989 und eine verbitterte Sicht auf die Vergangenheit erfassten ausnahmslos jeden Kontinent. Diejenigen, die mit Siegeraugen auf die Geschichte blickten, kamen aus allen gesellschaftlichen Klassen und politischen Bewegungen: linke Sozialdemokraten, Eurokommunisten, Ex-Trozkisten, Maoisten, marxistische Theoretiker - Vertreter all dieser Richtungen dienten praktisch allen neoliberalen Regierungen in Europa, Nordamerika, Südafrika und Brasilien, China und Australien und der muslimischen Welt. Wenn dies nicht möglich war, klatschten sie wenigstens von der Seitenlinie aus heftigst Beifall. Sie glaubten immer noch an den Klassenkampf, hatten aber die Seiten gewechselt.

Das erste Drittel von Tariq Alis Buch ist schlichtweg ärgerlich, denn es handelt von nichts anderem als von Alis Hass auf die USA, auf Europa, auf Weltbank und Internationalen Währungsfonds, auf die westlichen Medien, auf alles also, was seiner Auffassung von einer gerechten Welt im Wege steht.

Ärgerlich ist das deshalb, weil dieses Wer-nicht-für-mich-ist-ist-gegen-mich-Gehabe all jene Leser irritiert, die ebenfalls ihre Not mit den Auswüchsen neoliberaler Politik oder der Omnipräsenz der USA haben, die aber rechte Rhetorik nicht einfach mit linker tauschen möchten. Und schon gar nicht ist einzusehen, dass die zweifellos und Gott sei Dank wiedererstarkte Linke neue Götter braucht.

"Lichtgestalt" Hugo Chávez?

Tariq Alis Götter kommen aus dem langjährigen Hinterhof der USA, aus den verarmten und von Oligarchen ausgepressten Staaten Südamerikas. Warum der venezolanische Präsident Hugo Chávez eine Lichtgestalt sein soll, nur weil er den Amerikanern mehr oder weniger den Mittelfinger zeigt, ist nicht recht nachvollziehbar.

Die Verstaatlichung der Erdölindustrie ist per se noch keine wirtschaftspolitische Großtat. Die stufenweise Ausschaltung der Opposition kann auch nicht der Gerechtigkeit förderlich sein.

Kuba als Modell?

Hugo Chávez beruft sich gern auf seinen Landsmann Simón Bolívar, der im 18. Jahrhundert erfolgreich gegen die spanische Besatzung zu Felde gezogen ist. Viel näher ist ihm aber Fidel Castro, der eigentliche Schirmherr des politischen Umschwungs in Südamerika. Tariq Ali vergönnt dem greisen Commandante den späten Triumph, vergisst dabei aber, auf die desaströsen Verhältnisse auf Kuba hinzuweisen. Castro hat zwar 1959 mit dem pro-amerikanischen und faschistischen Batista-Regime aufgeräumt, aber ist die Insel in der Tat ein Modell für zukünftige Volksdemokratien? Sind Hinrichtungen und Inhaftierung politischer Gegner bloß unvermeidliche Kollateralschäden auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit?

Washington wartet, dass der alte Mann endlich stirbt. Dann wird es eine neue Offensive starten. Es wird ein wirtschaftlicher und kein militärischer Angriff sein. Man wird unbeschränkte Mengen Geld aufbieten, um die Loyalität des Inselvolks zu kaufen, und ihm ein ewiges Konsumparadies versprechen. Wenn sie Erfolg haben, wird es eine Tragödie für Kuba und Lateinamerika sein.

Tunnelblick

In seinem Anti-Amerikanismus blendet Tariq Ali aus, was ihm nicht in die Argumentationslinie passt. Den brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, einem ehemaligen Arbeiterführer, hält er vor, zu wenig radikal zu sein und es allen politischen Lagern recht machen zu wollen. Damit hat er zwar nicht unrecht, die Frage ist aber: Wie hält man den inneren Frieden eines Landes aufrecht?

Eine Methode ist der Interessensausgleich, der Konsens. Wenn man den verweigert, wie Hugo Chávez das in Venezuela tut, dann riskiert man den Bürgerkrieg. Oder man erstickt jede oppositionelle Regung im Keim, wie Fidel Castro das tut.

Pragmatiker Morales

Einzig der bolivianische Präsident Evo Morales fällt aus dem Rahmen, weil er ohne autokratische Allüren sein Land, eines der ärmsten der Welt, in einen funktionierenden Sozialstaat umbauen möchte. Auch Morales hat ein Verstaatlichungsprogramm angeordnet, damit nicht ausländische Unternehmen, sondern die bolivianische Bevölkerung von der eigenen Wirtschaftsleistung profitieren kann.

Morales ist ein Pragmatiker und deshalb wenig geeignet, für anti-amerikanische Polemik eingespannt zu werden. Mit diesem unaufgeregten und auch informativen Teil des Buches versöhnt Tariq Ali den zunehmend entnervten Leser ein wenig.

Unterm Strich aber ist die Behauptung, dass politische Alternativen zum Neoliberalismus ausgerechnet im Kuba des Commandante Castro zu finden sind, zu absurd, als dass man mit dem linken Denker Tariq Ali ein weiteres Stück des Weges in Richtung einer neuen Weltordnung gehen möchte.

Hör-Tipps
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Diagonal: Stadtporträt Caracas, Samstag, 25. August 2007, 17:05 Uhr

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Buch-Tipp
Tariq Ali, "Piraten der Karibik. Die Achse der Hoffnung", Diederichs Verlag, ISBN 9783720530019