Der Geist im Spannungsfeld der Wissenschaften

Was ist Geist?

Ist der Mensch frei, weil er ein geistiges Wesen ist? Oder ist die menschliche Freiheit eine Illusion und der Geist das Produkt einer komplexen Maschine, die den Menschen determiniert? Theologen und Wissenschaftler geben dazu unterschiedliche Antworten.

Der Theologe Kurt Appel über geistiges Verhalten

Ist "Geist" die Aktivität von geschätzten 28 Milliarden Neuronen und 2,8 Billionen Synapsen oder eine immaterielle Substanz? Oder überhaupt etwas ganz anderes? Ist der Mensch frei, weil er ein geistiges Wesen ist? Oder ist der Geist das Produkt einer komplexen Maschine, die den Menschen determiniert?

Welche ethischen Konsequenzen ergeben sich aus diesen Fragen? Evolutionsbiologen, Neurologen, Psychologen, Philosophen und Theologen diskutierten diese Fragen im Rahmen eines Symposiums in Wien, das von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien veranstaltet wurde.

Geist und Identität

"Geist ist wahrscheinlich die Essenz dessen, was uns als Mensch ausmacht“.

Diese Schlussfolgerung zieht Olaf Breidbach, Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Er hebt vor allem die Fähigkeit des Menschen hervor, seine eigene Identität zu reflektieren.

Der Mensch als "Geist-Wesen"

Der Wiener Theologe Kurt Appel spricht vom Menschen als "Geist-Wesen“ im Gegensatz zu einem Ding, über das man herrschen und bestimmen kann oder gegenüber einer Maschine, die man ein- und ausschalten und programmieren kann:

"In dieser Dimension des Geistes liegt auch alle Ethik begründet“, sagt Appel, der an der Katholischen Fakultät den Forschungsschwerpunkt "Naturalistische Anthropologien als theologische Herausforderung" leitet.

pneuma, spiritus und ruach

"pneuma" nannten die antiken Griechen den Geist, "spiritus" und "mens" die alten Römer. Im Hebräischen verwendete und verwendet man den Ausdruck "ruach". Auf jeden Fall ist "Geist" ein sehr uneinheitlich verwendeter Begriff.

In der Bibel wird damit ursprünglich der Atem bezeichnet, der den Geschöpfen Leben einhaucht. Christliche Theologen meinen heute meist den "Heiligen Geist", der vom Geist des Menschen unterschieden wird.

Den Geist unterordnen?

In der neuzeitlichen Philosophie und Naturwissenschaft wird "Geist" oft der Materie untergeordnet. Und hier beginnt die Debatte, meint auch Ludger Honnefelder, Professor für Religionsphilosophie und Katholische Weltanschauung an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin:

"Philosophen und Theologen erheben Einspruch, wenn wichtige Phänomene, die den Menschen ausmachen, weginterpretiert werden - im Namen eines wissenschaftlichen 'Allzuständigkeitsanspruches'".

Auswirkungen und Grenzen der Interpretationen

Die Frage "Was ist Geist?“ beschäftigt aber nicht nur die Theologie, die Philosophie und die Naturwissenschaft. Antworten darauf haben auch - um nur das Beispiel des Hirntodes zu nennen - konkrete Auswirkungen auf die Gesetzgebung. Auch durch pränatale Gentests, Genom-Chips, genmanipulierte Nahrungsmittel ist bereits Vieles möglich geworden. Aber wo liegen die Grenzen des Erlaubten?

Der renommierte Religionsphilosoph Ludger Honnefelder meint dazu, es sei wichtig, dass auch unsere moralische Kompetenz mitwächst: "Wir haben die Wahl, angesichts der schwierigen Entscheidungen zu resignieren und den Wissenschaftlern freie Hand zu geben oder aber aus lauter Angst alle Forschungen in Bausch und Bogen zu verbieten“. Seiner Meinung nach müssten klare Grenzen und Verbote gezogen werden, "denn Vieles ist zu gefährlich und zu folgenreich, um es erst auszuprobieren und nachher zu sagen, wie man es halten soll“.

Neurologisches Wunder

In der aktuellen Neurowissenschaft hat man festgestellt, dass Schädigungen des Gehirns bestimmte geistige Prozesse unmöglich machen können. Ein entscheidendes Element menschlicher Existenz ist dabei die Fähigkeit der Empfindung. Warum bestimmte Hirnprozesse zu bestimmten Empfindungen führen, konnte die Neurowissenschaft allerdings noch nicht erklären.

"Man kann den Geist nur als eine große Informationswelt bezeichnen“, sagt Lüder Deecke, Professor an der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Wien und spricht - auch als Wissenschaftler - von einem "Wunder“.

Zwischen neuronaler Aktivität und Immateriellem

Die meisten Naturwissenschaftler gehen davon aus, dass "Geist" nichts anderes sei als neuronale Aktivität. Theologen und viele Philosophen hingegen sehen den Geist in der Tradition von Aristoteles und Descartes als etwas Immaterielles an.

"Typisch menschlicher Geist sind sicher die höheren kognitiven Eigenschaften inklusive Selbstbezug, Selbstbewusstsein, Reflexionsfähigkeit und Planungskompetenz“, meint Kurt Kotrschal, Professor an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien. Kotrschal besteht auf der Feststellung, dass alle diese Eigenschaften von physiko-chemischen Vorgängen im Gehirn herrühren.

Geist und Seele

"Geist ist etwas, was den Menschen vor allen anderen Lebewesen auszeichnet“, sagt im Gegensatz dazu Hubert Philipp Weber, Assistent am Institut für Theologie der Spiritualität an der Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien, und stellt damit sofort den Begriff der "Seele" in den Mittelpunkt seiner Ausführungen.

"Was ist Geist?" - Theologen, Philosophen und Naturwissenschaftler haben in einigen Punkten Konsens gefunden, doch das Meiste bleibt offen.

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Logos, Samstag, 1. Juli 2006, 19:05 Uhr

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