Argentiniens Millionengeschäft mit den Youngsters
Exportartikel Männerbeine
Die Zeiten, als nur Fußballstars erster Kategorie über den Atlantik verkauft wurden, sind vorbei: Heute werden Jugendliche exportiert. Ein Supergeschäft für Vereinspräsidenten und Makler. Aber auch für ein paar Buben eine Chance, den Favelas zu entkommen.
8. April 2017, 21:58
River Plates Yougsters und ihr Jugendtrainer
Bestimmte in Argentinien noch bis vor 30 Jahren die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei die eigene Identität, ist heute an diese Stelle der Fußballverein getreten. Kein Wunder! Parteien gelten als Hort von Korruption und Ineffizienz, und Politiker wechseln ihre Bündnisse und Programme wie andere Leute die Unterwäsche.
Fußball als Macht- und Geldfaktor
Argentinien wurde - wie kaum ein anderes Land dieser Welt - von Krisen geschüttelt. Diktaturen kamen und gingen, Währungen und Wirtschaftsmodelle brachen zusammen, das Justizsystem und die Polizei sind diskreditiert, und niemand gilt als glaubwürdig.
Die einzige Leidenschaft und die einzige soziale Bindekraft scheint der Fußball zu sein - und das Geld, das damit verdient wird. Denn vor allem die Geldnot argentinischer Fußballklubs zwingt die Verantwortlichen oft und oft, ihre größten Talente nach Europa zu exportieren. Vor allem River Plate - der größte Verein im Land - ist für die Talente-Scouts aus Europa erste Wahl.
Frischfleisch aus den Elendsvierteln
"Tausende südamerikanische Spieler - vor allem aus Brasilien und Argentinien - spielen bereits in den Vereinen der Alten Welt", so der Trainer von River Plate. Und wie bei den Mädchen, die in europäischen Bordellen landen, gilt auch bei der Exportware Fußball die Devise: je jünger, je besser:
"Unsere Spieler werden immer jünger. In Europa steigt ein Spieler mit 23, 24 Jahren in die Bundesliga auf, hier mit 17 oder 18 Jahren".
Der Armut entfliehen
Das runde Leder ist in Südamerika für die meisten jungen Männer der einzige Weg, sich aus der Armut zu befreien. Es bringt Reichtum und Ruhm.
Anders als in der 'normalen Welt', in der der soziale Status die Möglichkeiten eines Individuum definiert, gelten auf dem Spielfeld klare Regeln für alle. Dort hängt die Karriere nicht vom Bankkonto oder den Beziehungen der Eltern ab, sondern von den eigenen Oberschenkeln. Sie ermöglichen den Hungerleidern aus dem Elendsviertel den Sieg über Konkurrenten aus der Villa.
Dicke Geschäfte, arme Klubs
Die Klubs werden, während sich die Vereinspräsidenten und Makler eine goldene Nase verdienen, immer ärmer. River Plate zum Beispiel suchte in der vergangenen Saison händeringend Investoren, um neue Spieler zu verpflichten.
Heute steht der Verein am Rande des Bankrotts, obwohl er in den letzten Jahren seine besten Spieler ins Ausland verkauft hat: Ariel Ortega, Marcelo Gallardo, Hernán Crespo, Matias Almeyda, Marcelo Salas, Pablo Aimar, Javier Saviola, Juan Pablo Sorin, Santiago Solari und viele mehr.
Gigantische Ablösesummen
Die Ablösesummen für Nachwuchstalente aus der Dritten Welt sind astronomisch. Der FC Barcelona hat gerade den Vertrag mit dem brasilianischen Idol Ronaldinho verlängert und dafür den stolzen Betrag von 150 Millionen Euro hingeblättert. So hoch ist auch die Ablösesumme von Lionel Messi, der als Vierzehnjähriger nach Spanien auswanderte, heißt es in dem gerade in Berlin erschienenen Buch "Futbolistas - Hoffnungen, Helden, Politik und Kommerz":
Alle suchen einen neuen Maradonna: Diejenigen, die kaufen, weil sie sich im sportlichen Erfolg sonnen wollen. Diejenigen, die verkaufen, weil sie ein Geschäft machen wollen, und die Fans, weil sie einen neuen Helden brauchen.
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Hör-Tipp
Journal-Panorama, Dienstag, 27. Juni 2006, 18:25 Uhr
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Links
Fußball in Argentinien
Wikipedia - River Plate
River Plate