Die Besiedlung der Neuen Welt

Wer waren die ersten Amerikaner?

Bis vor kurzem glaubte man, dass Nordamerika von Menschen besiedelt wurde, die vor 12.000 Jahren aus Asien über die Beringstraße einwanderten. Nach neuen Erkenntnissen kamen die ersten Immigranten schon vor 30.000 Jahren in der neuen Welt an.

Die gängige, bis vor kurzem akzeptierte Lehrmeinung über die ersten Amerikaner, lautete folgendermaßen: Vor etwa 12.000 Jahren wanderten Menschen aus Asien über die Beringstraße nach Nordamerika. Dort begründeten sie die so genannte Clovis-Kultur, benannt nach der Stadt Clovis in New Mexico. Und da diese Clovis-Menschen - angeblich - die ersten Amerikaner waren, nannte man die Theorie "Clovis First".

Dieses Szenario wurde nach langen Debatten zu den Akten gelegt: Erstens ist es fraglich, ob die Beringstraße damals überhaupt zu Fuß passierbar war. Zweitens ist es wahrscheinlich, dass die ersten Einwanderer mit Booten kamen. Und drittens hat man in Nord- sowie in Südamerika Siedlungen gefunden, die vor diesem angeblichen Marsch über die Beringstraße existiert haben mussten.

Viele Forscher sind jetzt der Überzeugung, dass die ersten Immigranten vor 20.000, ja vielleicht sogar schon vor 30.000 Jahren in der neuen Welt ankamen.

Die Menschen von Monte Verde

Der Ausgrabungsort, der die Theorie "Clovis First" widerlegte, ist Monte Verde in Chile. Die Siedlung, die Forscher freilegten, ist 14.500 Jahre alt und gehört damit zu den ältesten Fundstätten auf dem amerikanischen Doppelkontinent.

Niemand weiß, wer die Menschen von Monte Verde waren oder woher sie stammten. Sie gehörten auch nicht zur Clovis-Kultur. Doch es gibt Parallelen zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen: So wie die Clovis-Menschen waren auch die Menschen von Monte Verde Jäger und Sammler, die ihre Umwelt gut zu nutzen wussten.

Anpassung an die Umwelt sei jedoch ein langwieriger Prozess, argumentiert der Archäologe Michael Collins. Und daher können weder die Clovis-Menschen noch die Menschen von Monte Verde Neuankömmlinge gewesen sein.

Mit Booten von Asien aus

Wenn die ersten Immigranten nicht über die Bering-Straße wanderten, dann müssen sie zwangsläufig die neue Welt in Booten erreicht haben. Doch von wo aus welche Gruppen welche Route genommen hat, ist noch Gegenstand heftiger Diskussionen.

Jon Erlandson, Archäologe an der Universität von Oregon, entwickelte ein Szenario für eine Pazifiküberquerung. Er meint, dass Menschen, möglicherweise aus Südasien kommend, entlang der Inseln Japans nach Norden und dann Richtung Osten gerudert seien.

Landung an der Westküste Amerikas

Diese Menschen mögen den Pazifik in ausgehöhlten Baumstämmen oder in mit Häuten bespannten Kanus übersetzt haben, spekuliert Erlandson. Beides sei denkbar. Doch so alte Boote zu finden, sei unwahrscheinlich. Boote verrotten.

Seit die Entdecker der neuen Welt in Amerika landeten, ist der Meeresspiegel um 100 Meter gestiegen. Um Reste der allerersten Siedlungen entlang der Westküste zu finden, müsse man, so Jon Erlandson, auf Tauchexpedition gehen.

Besiedelung von Europa aus

Auch Dennis Stanford verspricht sich viel von Unterwasserarchäologie. Allerdings möchte der Anthropologe lieber an der Ostküste tauchen, und zwar in der Gegend der Chesapeake Bay bei Washington. Er glaubt, dass Amerika nicht nur von Asien, sondern auch von Europa aus besiedelt wurde.

"Wenn man den Kontinentalschelf entlang Richtung Süden fährt, wurde das Klima etwa bei der Chesapeake Bay besser. Der Hudson war völlig vereist gewesen. Entlang der Küste war es nicht so schlecht. Ich glaube, die Leute blieben deswegen an der Küste. Aber wenn sie dann das heutige Maryland und Virginia erreichten, dann konnten sie ins Landesinnere vordringen. Und wenn man auf dieser Höhe den Susquehanna River hinauffährt, dann liegt genau dort Meadow Croft."

Der Fundort Meadow Croft im Staat Pennsylvania dürfte 14.500 Jahre alt sein. Cactus Hill im Staat Virginia wird auf 15.000 Jahre geschätzt. Beide zählen zu den ältesten Fundstätten in Nordamerika. Dennis Stanford gründet seine Theorie auf der Ähnlichkeit von Werkzeugfunden in Europa und an der amerikanischen Ostküste.

Oder durch die Antarktis

Wenn man nicht an eine Besiedelung Amerikas über den Atlantik glaubt, dann ist es schwierig zu erklären, warum die ältesten Fundstätten Nordamerikas ausgerechnet an der Ostküste liegen.

Laut dem biologischen Anthropologen Ted Schurr von der Universität von Pennsylvania gibt es eine interessante Theorie, für die es jedoch kaum Beweise gibt: Die Menschen fuhren damals durch die Antarktis.

Die Route wäre folgende gewesen: Den Polarkreis entlang, vorbei an Alaska, Nordamerika und dann die Ostküste hinunter nach Süden. Das würde die sehr frühen Fundstätten an der Ostküste erklären, und zwar ohne eine Atlantiküberquerung von der iberischen Halbinsel aus.

Mehr Fundstätten erforschen zu können, würde zweifellos bei der Lösung des Rätsels um die Uramerikaner helfen. Doch die müssen erst gefunden werden.

Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 26. Juni 2006, 19:05 Uhr

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