Skandalöse Praktiken der Unternehmensberater

Die große Abzocke

Der Zwang zum Lügen und Fälschen und der gnadenlose Umgang mit den Mitarbeitern, brachten den Unternehmensberater Neil Glass dazu, auszusteigen und ein Buch über die skandalösen Praktiken der Unternehmensberater zu schreiben.

Neil Glass war 20 Jahre als Unternehmensberater im internationalen Management Consulting tätig. Er kennt die Szene. Und er hat eine Menge Ärger und Wut über arrogante Unternehmensberater angehäuft, die mit gekonntem Bluff ihren Kunden Geld aus der Nase ziehen. Viel Geld.

So verdient zum Beispiel ein Einsteiger in der Managementberaterbranche mit wenig oder vollständig fehlender Berufserfahrung normalerweise mindestens 45.000 Euro im Jahr. Ein Projektmanager wie ich bekommt rund 250.000, während die leitenden Mitarbeiter der Beratungsfirmen Multimillionäre sind.

Die "Holzfäller"

Begonnen hat Neil Glass vor 20 Jahren bei einer US-amerikanischen Firma, die er in seinem Buch "die Holzfäller" nennt. In ihrem Auftrag analysiert er Fabriken, öffentliche Verwaltungen und Supermarktketten.

Der Ansatz der Holzfäller war stets der gleiche; Studien durchführen, rund 30 Prozent Zeitverlust ermitteln (auch wenn es ihn in Wirklichkeit nicht gab) und anschließend den Kunden dazu bringen, ein Projekt in Auftrag zu geben, um den Zeitverlust - und gewöhnlich eine große Zahl von Mitarbeitern - zu eliminieren.

Die "Familie"

Der Zwang zum Lügen und Fälschen, der gnadenlose Umgang mit den Mitarbeitern und die Erkenntnis, dass nicht wenige Unternehmen als Folge der Beratungsleistung bankrott gegangen waren, bringen Neil Glass dazu, bei den "Holzfällern" auszusteigen.

Einsteigen will er bei einem Beratungsunternehmen, das in der obersten Liga spielt, wie McKinsey oder The Boston Consulting Group. Er wird er von einer Beratungsagentur angeheuert, die er in seinem Buch "die Familie" nennt. "Die Familie" zählte zu einem neuen Typus von Beratungsfirmen und war außerordentlich erfolgreich. Die Analysemethoden gleichen denen der Holzfäller, doch die Sichtweise auf die Mitarbeiter unterscheidet sich fundamental.

Menschen wurden als entwicklungsfähige Ressourcen betrachtet, nicht als verzichtbare Staffage, die nach Gutdünken des Managements ausrangiert werden konnte. Heute ist dieser Ansatz nichts Besonderes mehr. Damals war er quasi revolutionär.

Studie als trojanisches Pferd

"Wie man mühelos Millionen-Euro-Projekte verkauft" lautet der Titel des spannendsten Kapitels. Darin gibt Neil Glass Einblick in die Vorgehensweisen und psychologischen Methoden, mit welchen die Berater große Aufträge an Land ziehen.

Um den Fuß in die Tür zu bekommen, bieten sie potenziellen Kunden relativ preisgünstige Studien an, um bestimmte Teilaspekte des Unternehmens zu durchleuchten. Nicht selten entpuppt sich diese erste Studie als trojanisches Pferd. Sobald die Berater in einem Unternehmen aktiv werden, bringen sie die Unternehmensmitarbeiter dazu, die Sichtweise der Berater einzunehmen und systematisch Schwachstellen aufzuspüren. Mit der Unternehmensleitung finden regelmäßig Treffen statt, die so genannten "Updates".

Am Ende einer mehrwöchigen Studienphase werden die Ergebnisse präsentiert. Laut Glass setzen nur zehn bis 20 Prozent der Unternehmen die Berater wieder vor die Tür, der Rest ist bereit, millioneneuroschwere Beratungsprojekte in Auftrag zu geben.

Schwarze (Millionen Euro-)Löcher

Sind die Leistungen der Berater die Schwindel erregenden Honorare wert? Meistens nicht, lautet Neil Glass' Antwort. Nur etwa ein Viertel der Beratungsprojekte verliefen erfolgreich, die Hälfte sei von fragwürdigem Wert oder völlig nutzlos, und der Rest eindeutig zum Nachteil der Kunden. Genüsslich führt Neil Glass Beispiele für das Versagen der Beratungsfirmen auf.

McKinsey hatte 18 Jahre lang Enron beraten, bevor das Unternehmen zusammenbrach und von der Bildfläche verschwand.

Besonders häufig scheitern Beratungsprojekte, die von der öffentlichen Hand in Auftrag gegeben werden, da Politiker und Beamte wenig Know-how in der Beauftragung solcher Projekte haben. Als Beispiel führt Glass das Debakel bei der Einführung der deutschen LKW-Maut an. In Österreich entwickelten sich die ÖBB zur Goldgrube für Berater. Allein im Jahr 2003 kassierten die Berater über 20 Millionen Euro.

Wert und Nutzen

"Ein Insiderbericht" nennt sich Neil Glass' Buch im Untertitel. Das ist es auch. Wenn Glass persönliche Erlebnisse schildert, wirkt das Buch spannend und authentisch. Leider gelingt es ihm selten, die individuelle Maulwurfsperspektive zu verlassen. Und wenn, dann bleibt vieles vage und schlecht recherchiert.

Trotz dieser Schwächen ist das Buch als Beitrag zur Diskussion über Wert und Nutzen der Berater willkommen. Ob als Konsument, als jemand, der infolge von Beratungsergebnissen seine Arbeit verliert, oder als Steuerzahler, letztlich müssen wir sie alle finanzieren, die Traumgagen der großen Abzocker.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Neil Glass, "Die große Abzocke. Skandalöse Praktiken der Unternehmensberater", übersetzt von Petra Pyka, Campus Verlag, ISBN 3593381168